Univ.-Prof. Dr. Erich Schenk

Biografie als PDF mit Quellen und Literatur:
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Musikwissenschaftler, Universitätsprofessor

* 5. Mai 1902 in Salzburg

† 10. Oktober 1974 in Wien

Straßenbenennung: Erich-Schenk-Straße, beschlossen am 28. Juni 1985

Lage: Leopoldskron; zwischen den Objekten Hammerauerstraße 68 und 70 nach Norden führende, private Stichstraße.

 

Erich Schenk wurde am 5. Mai 1902 als Sohn eines Mediziners in Salzburg geboren, wo er auch seine Kindheits- und Jugendjahre verbrachte. Obgleich Schenk bereits früh überwiegend in Deutschland beruflich tätig war und er ab 1939/40 seine akademische Laufbahn in Wien fortsetzte, ist er für die Stadt Salzburg auch heute noch von Interesse: Im Zuge seiner wissenschaftlichen Karriere als Musikwissenschaftler an den Universitäten in Rostock und Wien avancierte Schenk zu einem anerkannten Mozartforscher, der Salzburgs reichhaltiges musikalisches Erbe in seine Forschung und Lehre einfließen ließ. So veröffentlichte er 1955 eine repräsentative Mozart-Biographie, die als sein wissenschaftliches Hauptwerk angesehen wird, und er organisierte im Mozartjahr 1956 an der Universität Wien einen internationalen Mozartkongress.

Im Jahr 1968 würdigte die Stadt Salzburg Schenks Leistungen als Musikwissenschaftler mit der Großen Silbernen Medaille der Mozartstadt Salzburg. Schenk starb am 11. Oktober 1974 in Wien. Im Jahr 1978 wurde sein Leichnam aus der Wandgruft 70 des Salzburger Kommunalfriedhofs exhumiert und in die Wandgruft 3 übertragen. Seine endgültige Beisetzung erfolgte somit mehr als vier Jahre nach seinem Tod am 9. November 1978 am Salzburger Kommunalfriedhof. Noch vor Benennung einer Straße nach Erich Schenk befand sich an seinem Geburtshaus, dem um 1300 erbauten Steinhauserhaus in der Sigmund-Haffner-Gasse 12, eine (private) Gedenktafel, die von Schenks Witwe Margaretha Schenk (1912–1999) angeregt und bezahlt worden war. Am 16. August 1978 enthüllte der Salzburger Festspielpräsident und SPÖ-Politiker Josef Kaut (1904–1983), ein Jugendfreund Schenks, im Beisein der Witwe Margaretha Schenk und anderer Ehrengäste die Gedenktafel, deren Betreuung fortan die Kulturabteilung der Stadt übernahm. Die Gedenktafel sollte an den „Musikwissenschaftler und Mozartforscher“ Erich Schenk erinnern. Am 4. Mai 2016 ließ die Stadtgemeinde Salzburg die Tafel entfernen, nachdem der Fachbeirat „Erläuterungen von Straßennamen“ dem damaligen Salzburger Bürgermeister Dr. Heinz Schaden eine entsprechende Empfehlung vorgelegt hatte.

Mit diesen Annäherungen an Schenks „Nachleben“ soll angedeutet werden, dass das Andenken an diesen gebürtigen Salzburger im öffentlichen Raum der Stadt Salzburg lange Zeit und teils bis heute sichtbar gewesen ist. Vor allem die Gedenktafel in der Sigmund-Haffner-Gasse, die vielen Salzburger*innen bekannt gewesen sein dürfte, ist dabei hervorzuheben.

In der Forschungsliteratur zu Erich Schenk wie auch in lebensgeschichtlichen Erinnerungen von Menschen, die bei ihm studiert oder mit ihm in anderer Weise zu tun hatten, stößt man rasch auf als problematisch zu bezeichnende oder zumindest bis heute stark umstrittene Aspekte seiner Persönlichkeit und seines Wirkens. Diese allgemeine Feststellung mag bei einem einflussreichen Universitätsgelehrten wie Schenk, dessen akademische Karriere sich über die Erste Republik bzw. Weimarer Republik und das „Dritte Reich“ bis in die Zweite Republik in verschiedenen politischen Systemen kontinuierlich erstreckte, nicht von vornherein überraschen. Die Lebenswege der um 1900 Geborenen, die wie Schenk der sogenannten Kriegsjugendgeneration angehörten, waren von mehrfachen politisch-ideologischen Brüchen durchzogen. Sie brachten häufig Anpassungsleistungen mit sich, die sich speziell im „Dritten Reich“ zwischen den Polen des Opportunismus und der ideologisch fanatisierten Radikalisierung bewegten.

Wie im Folgenden gezeigt wird, sind von Schenk eine Reihe von antisemitischen Aussagen und Praktiken nicht nur aus der Zeit vor 1945, sondern auch aus der Zweiten Republik überliefert, die in der musikgeschichtlichen Forschungsliteratur rezipiert wurden und heute weithin bekannt sind. Ohne die Diskriminierung von Menschen tatsächlich oder vermeintlich jüdischer Herkunft in irgend einer Form zu relativieren, soll an dieser Stelle allgemein darauf hingewiesen werden, dass Schenk mit dieser Haltung – zum gravierenden Nachteil der betroffenen Menschen wie auch der von ihm vertretenen Fachdisziplin – zumindest vor 1945 keineswegs allein dastand. Speziell innerhalb des akademischen Milieus hatte sich seit dem späten 19. Jahrhundert eine sozialdarwinistische und völkische Spielart des Antisemitismus weithin durchgesetzt. Gerade an der Universität Wien, der langjährigen Wirkungsstätte Schenks, kam dem Antisemitismus als einer politisch-ideologischen Praxis, die sich in Berufungspraktiken von Professor*innen und der Nichtberufung oder dem Ausschluss von Wissenschaftler*innen jüdischer Herkunft deutlich niederschlug, bereits lange vor dem „Dritten Reich“ eine kaum zu unterschätzende Bedeutung zu. Dass eine offen rassistische Spielart des Antisemitismus selbst noch in den 1960er Jahren, also lange nach dem Ende des „Dritten Reiches“, Schenks Handeln als einflussreicher Universitätsprofessor beeinflusste, ist dabei umso bemerkenswerter.

Ein weiterer Aspekt von Schenks Biographie, der im Folgenden problematisiert wird, ist sein Nahverhältnis zur NSDAP: Während seine Mitgliedschaft im NSD-Dozentenbund archivalisch nachweisbar ist, waren sich bereits Zeitzeugen darüber uneinig, ob Schenk (Voll-)Mitglied der NSDAP gewesen sei oder nicht. Archivalische Belege lassen allerdings darauf schließen, dass Schenk weder den Status eines Parteianwärters hatte, noch dass er jemals Parteimitglied war. So zitierte der Gaudozentenbundführer des Reichsgaus Mecklenburg im Februar 1940 eine Äußerung des Kreisleiters von Rostock, wo Schenk bis 1939 an der dortigen Universität als Musikwissenschaftler arbeitete, dass dieser gegenüber dem Nationalsozialismus zwar „unter keinen Umständen (…) negativ eingestellt“ sei. Schenk sei aber ein „Künstler, der auf politischem Gebiet keine eigene Meinung habe“. In einer Abschrift, die dem Gaupersonalamt Wien vorlag und die den Eingangsvermerk vom 6. Februar 1939 trug, wurde zudem festgestellt, dass Schenk „nicht Pg.“ sei. Anna Maria Pammers Schlussfolgerung aus dem von ihr untersuchten Material, dass es „doch sehr wahrscheinlich“ sei, dass „er Mitglied war“ und hierfür bislang nur „der letzte Beweis“ fehle, muss daher als nicht stichhaltig bezeichnet werden. Unabhängig von dieser eher formalen, wenngleich in mancher Hinsicht für die Handlungsweisen von Schenk symptomatischen Frage seiner Affinität zur NSDAP hält der Historiker und Musikwissenschaftler Matthias Pape fest, dass Schenk „nahtlos mit dem Welt- und Geschichtsbild, mit dem Erziehungs- und Bildungsgedanken des Dritten Reichs“ übereinstimmte. Dies passt zu den Verhaltensweisen zahlreicher Zeitgenoss*innen Schenks, die sich im Nationalsozialismus an das herrschende Regime in unterschiedlich nuancierter Weise anpassten, nach 1945 aber, zumindest oberflächlich betrachtet, mit der Demokratie und den Werten einer pluralistischen Gesellschaft konform gingen.

Was Schenk indes zu einem offensichtlichen schwierigen „Fall“ macht, der ihn von gewöhnlichen Mitläufer*innen oder Opportunist*innen unterscheidet, ist nicht in erster Linie die von Pape u. a. zweifelsfrei festgestellte allgemeine ideologische Übereinstimmung Schenks mit wesentlichen kultur- und gesellschaftspolitischen Zielsetzungen der Nationalsozialisten. Vielmehr geht es um eine Reihe von Involvierungen in das NS-Wissenschaftssystem bzw. um „Affären“ oder „Vorfälle“, bei denen sich Schenk hervortat, sowie um dessen Versuche, sich nach 1945 von seinen früheren Verfehlungen reinzuwaschen. Schenks Verhaltensweisen im „Dritten Reich“ werden in der vorliegenden Studie daher genauer analysiert.

Hierbei erhebt sich jeweils die allgemeinere Frage, ob Schenks Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche politische Systeme möglicherweise dort ihre Grenzen hatte, wo es – vor wie auch nach 1945 – um von ihm aktiv praktizierten Antisemitismus ging. Vorwürfe gegen Schenk, dieser habe es wegen antisemitisch motivierter Vorbehalte nicht zugelassen, dass an seinem Wiener Universitätsinstitut nach 1945 musikwissenschaftliche Doktorarbeiten angefertigt werden konnten, stehen nach wie vor im Raum. Zudem tritt Schenks Selbstmobilisierung für Institutionen der NS-Wissenschaftspolitik deutlich hervor: Seine Tätigkeit als „Gutachter“ für das „Amt Rosenberg“ ist dabei ebenso zu thematisieren wie der Umstand, dass er von sich aus an die „Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e. V.“ herantrat, um in enger Verbindung mit dieser SS-Einrichtung musikhistorische Forschungen betreiben zu können.

Auch wenn die Rolle Schenks als einem der institutionell einflussreichsten Protagonisten der Musikwissenschaft und Musikgeschichte hier nur am Rande thematisiert wird, soll an dieser Stelle doch darauf hingewiesen werden, dass sein „langer Schatten“ offenbar bis in die jüngste Vergangenheit reichte und er insbesondere auf die Wiener Musikwissenschaft prägend einwirkte. Pammer hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass Schenk nicht nur „Schlüsselfunktionen des Faches“ [Musikwissenschaft; Anm. d. Verf.] innehatte, sondern auch verschiedene Publikationsreihen kontrollierte und „Generationen von Musikwissenschaftlern“ in Österreich ausgebildet habe. Im Gang des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Wien, das Schenk von 1939/40 bis 1971 als Ordinarius leitete, hing bis 2013 eine „Ahnengalerie“ der ehemaligen Institutsdirektoren. Darunter befand sich auch ein Porträt von Erich Schenk. Auf Initiative von Heinz Irrgeher, dem Präsidenten des Vereins der Freunde des Instituts für Musikwissenschaft, beschloss die Institutskonferenz am 27. Mai 2013 einstimmig, dass diese Galerie abgehängt und durch eine einzige Tafel mit Erläuterungen zur Institutsgeschichte ersetzt werden solle, was unmittelbar nach diesem Beschluss erfolgte.

Erich Schenk selbst sah sich dezidiert als eine Person des öffentlichen Interesses, was u. a. dadurch zum Ausdruck kam, dass er ihm angetragene akademische und staatliche Ehrungen offenkundig gerne angenommen hat. Gerade im Falle eines vielfach Geehrten wie Schenk, der selbst die akademische und außerakademische Öffentlichkeit zeitlebens gesucht hat, ist das Interesse späterer Generationen besonders hervorzuheben, die argumentativen Grundlagen dieser Ehrungen und Auszeichnungen kritisch zu hinterfragen und nachzuprüfen.

 

Lebens- und Karrierewege

Erich Schenks Vater war der evangelische Arzt und spätere erste Salzburger Röntgenologe Dr. Rudolf Schenk, der 1872 in Kuttelberg (heute Spálené, Tschechien) in Österreichisch-Schlesien geboren worden war. Seine Mutter Hermine, geb. Endres, war um sechs Jahre jünger als ihr Ehemann. Sie war eine Tochter des Salzburger Cafetiers und Hausbesitzers Heinrich Endres (1843–1907), eines Liebhabers von Musik und Gesang, der über mehrere Jahre hinweg auch Vorstand der Salzburger Liedertafel war. Während Erich Schenks einziger Bruder Rudolf am 3. Mai 1900 noch in Schlesien zur Welt kam, wurde er selbst am 5. Mai 1902 bereits in Salzburg geboren. Rudolf Schenk hatte Hermine Endres am 28. April 1899 in der Salzburger evangelischen Pfarrkirche geheiratet. Da Schenk nach zehnjährigem durchgehenden Aufenthalt am 7. Juli 1911 das Heimatrecht der Stadt Salzburg verliehen bekam, lebte er zumindest seit 1901 in Salzburg. Über die genauen Umstände und die Motive der Niederlassung der Familie Schenk in Salzburg liegen keine näheren Informationen vor. Die Herkunft von Schenks Mutter Hermine aus einer Alt-Salzburger Familie wird in den Nekrologen und der sonstigen biographischen Literatur zu Schenk relativ breit ausgeführt: Demnach war Hermine Endres in einer musikalisch, literarisch und naturwissenschaftlich interessierten Familie aufgewachsen. Seit ihrer frühen Jugend habe sie „vielfältige Anregungen, in besonderem Maße auf musikalischem Gebiet“aufgenommen. Ebenso häufig wird die Erzählung tradiert, dass der spätere „Mozartforscher“ Erich Schenk im Salzburger Steinhauserhaus aufgewachsen sei, in welchem die Kinder des fürsterzbischöflichen Leibarztes Silvester Barisani (1719–1810) mit den „Geschwistern Mozart in den Gängen und Zimmern des Hauses“umhergetollt seien.

Der junge Erich Schenk stand stark unter dem Eindruck elterlicher Kunstliebe und Musikbegeisterung. Sein späteres „politisch-nationales Selbstverständnis“ soll nach Pape, der diese Annahme wohl mit einiger Berechtigung ausspricht, aufgrund seiner sozialen Herkunft aus einem deutschnational und evangelisch geprägten bürgerlichen Elternhaus bereits damals zugrunde gelegt worden sein. Für seine ursprünglich evangelische Prägung spricht, dass seine Mutter Hermine bereits als 21-Jährige dem Pfarrer von St. Blasius, Alois Kaltenhauser, als eine jüngst vom Katholizismus zum Protestantismus Konvertierte aufgefallen war. Kaltenhauser charakterisierte sie 1899 in einem Schreiben an das fürsterzbischöfliche Konsistorium als eine besonders eifrige Agitatorin der Los-von-Rom-Bewegung, die sich damals auch in Salzburg verbreitete. Angesichts der musikalischen Atmosphäre im Elternhaus ist es wenig verwunderlich, dass der junge Erich Schenk sich als ein begabter Pianist erwies. So absolvierte er neben seinen Studien am Salzburger Staatsgymnasium auch das damalige Konservatorium Mozarteum, wo er noch während seiner Schulzeit u. a. einen Kapellmeisterkurs bei Bernhard Paumgartner (1887–1971) belegte. Am humanistischen Gymnasium wurde Schenk, wie er selbst betonte, wesentlich vom bekannten Altphilologen Kamillo Huemer (1866–1956) geprägt: Dieser sei „ähnlich persönlichkeitsformend“ gewesen wie seine späteren Universitätslehrer in München, Wien und Berlin. Nachdem er die Maturitätsprüfung 1920 erfolgreich absolviert hatte, wechselte Schenk noch im selben Jahr an die Münchner Universität, wo er bis 1925 als Schüler von Adolf Sandberger (1864–1943) Musikwissenschaften studierte. Zum Dr. phil. promovierte er an der Münchner Universität mit seiner Dissertation über „Giuseppe Antonio Paganelli – sein Leben und seine Werke“.

Nach seinem Studienabschluss übersiedelte Schenk wieder nach Salzburg, wo er vom 1. November 1925 bis zum 31. Mai 1926 als Lehrer für Musikgeschichte und als Bibliothekar an der Stiftung Mozarteum wirkte. Daneben sammelte er von 1925 bis 1927 Erfahrungen im Pressebüro der Salzburger Festspiele, deren Pressechef er im Jahr 1927 war. Dass Schenk in dieser Zeit ein Mitarbeiter von Kajetan (Kai) Mühlmann (1898–1958) gewesen sein muss, der promovierter Kunsthistoriker und ab 1926 „Propagandaleiter“ der Salzburger Festspiele war, erwähnen die Nachrufe auf Schenk nicht. Der frühere Festspielmitarbeiter Mühlmann stieg in den 1930er Jahren zu einem hochrangigen nationalsozialistischen Funktionär und SS-Führer auf und war während des Zweiten Weltkriegs an führender Stelle in den NS-Kunstraub in Polen und den Niederlanden involviert.

Während seiner Tätigkeit im Pressebüro der Salzburger Festspiele hatte Schenk Kontakt mit Künstlern wie Richard Strauss, Hugo von Hofmannsthal, Thomas Mann und „besonders Stefan Zweig“. In einem der Nachrufe auf Schenk, der 1974 in den „Salzburger Nachrichten“ erschien, heißt es denn auch, Schenk habe oft erzählt, dass er in der „erlesenen Runde“ Stefan Zweigs im Café Bazar als „Benjamin wohlwollend“ geduldet worden sei. Im Lichte der Vorwürfe gegen Schenk, dass er in seiner aktiven Zeit als Universitätsprofessor judenfeindlich gehandelt habe, scheint Letzteres zumindest auf den ersten Blick bemerkenswert zu sein. Entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit Schenk antisemitisch gehandelt hat, dürfte aber nicht dessen frühe, vermutlich lose Bekanntschaft mit Stefan Zweig sein, sondern vielmehr seine konkreten Aktivitäten als Universitätslehrer und Musikwissenschaftler.

Nachdem Erich Schenk seine Tätigkeit bei den Salzburger Festspielen beendet hatte, ging er nach Italien sowie nach Wien und Berlin, um dort seine musikwissenschaftlichen Studien fortzusetzen. In Wien hörte er Vorlesungen bei Robert Lach und Guido Adler. Letzterer gilt als Begründer einer „exakten“ Richtung innerhalb der österreichischen Musikwissenschaft. Schenk dürfte sich spätestens damals der von Lach favorisierten kulturgeschichtlich orientierten Musikforschung angeschlossen haben, während er „Adlers generalisierende Phänomenologie und stilkritische Methode“, die „nicht nach den kulturgeschichtlichen Voraussetzungen des musikalischen Kunstwerks und seinen Inhaltsqualitäten“ fragte, ablehnte. Von Berlin ging Schenk 1929 nach Rostock, wo er an der dortigen Universität mit einer ungedruckt gebliebenen Arbeit „Studien zur Entwicklung der deutschen Triosonate nach Corelli“ habilitiert wurde. Seither war er in Rostock als Privatdozent tätig und konnte dort dank Zuwendungen seiner Eltern und mittels eines Forschungsstipendiums der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft überleben, ehe er im Jahr 1936 zum nicht-beamteten außerordentlichen Professor an der Rostocker Universität ernannt wurde. Er war damit zwar befugt, den Professorentitel zu führen, jedoch verfügte er nicht über die Rechte, die einem ordentlichen oder außerordentlichen Professor in dieser Funktion zustanden. Ungeachtet seiner begrenzten Möglichkeiten als tit. ao. Professor initiierte Schenk das Musikwissenschaftliche Seminar an der Universität Rostock, das er seit 1937 leitete. Neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer und Forscher agierte Schenk auch als Direktor des Rostocker „Collegium musicum instrumentale et vocale“, das zwischen 1930 und 1939 zwanzig selbständige Konzerte aufführte.

Während seiner Tätigkeit an der Universität Rostock blieb Schenk weiterhin mit dem Salzburger Musikleben in Verbindung. So war er „verantwortlicher Leiter der Zweiten Musikwissenschaftlichen Tagung im Jahre 1931“ in Salzburg, „die von ihm vorbereitet und geleitet wurde“. Zudem war er „entscheidend an der Gründung des Zentralinstituts für Mozartforschung“ im selben Jahr in Salzburg beteiligt. Auch in der NS-Zeit war Schenk mit diesem Institut in Kontakt. So war er bei der Salzburger Arbeitstagung des Zentralinstitutes für Mozart-Forschung im Sommer 1940 einer der Vortragenden.

Nicht im Jahr 1938 und auch nicht als unmittelbarer Nachfolger von Guido Adler, wie der Professor an der Hochschule Mozarteum Géza Rech (1910–1992) irrtümlich schrieb, sondern erst 1939 wurde Schenk nach der Emeritierung von Robert Lach (1874–1958) zunächst mit der Versehung von dessen Lehrkanzel betraut und im April 1940 förmlich zum ordentlichen Professor an der Universität Wien ernannt. Die Hintergründe der Berufung Schenks nach Wien sind bis heute nicht restlos geklärt. Es steht aber fest, dass die Philosophische Fakultät der Universität Wien mit Robert Haas (1886–1960) dem früheren Assistenten von Guido Adler und Leiter der Musikabteilung der Österreichischen Nationalbibliothek den Vorzug vor Schenk gab. Haas schien auch deshalb als Nachfolger des aus Altersgründen in den Ruhestand tretenden Lach geeignet zu sein, weil er seit 1933 NSDAP-Mitglied war und ihm seine politischen Überzeugungen in der Zeit des „Ständestaates“ angeblich geschadet hatten. Letztlich gab aber das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) den Ausschlag, das sich für Schenk aussprach. Dieser war auf dem Besetzungsvorschlag für das Ordinariat hinter Robert Haas und Helmut Schultz (1904–1945) und vor Leopold Nowak (1904–1991) an zweiter Stelle gelistet. Pammer vermutet, dass das Ministerium einen Fachmann für die Mozart- und Gluckforschung in Wien haben wollte. Die Annahme, dass das Ministerium eine entscheidende Rolle bei der Berufung Schenks nach Wien spielte, wird auch dadurch gestützt, dass der Berliner Ministerialrat Hermann-Walter Frey (1888–1968), mit dem Schenk seit Spätherbst 1938 persönlich bekannt war, sich nachweislich für Schenk einsetzte. Ob Schenks politisches Engagement für die Berufung eine Rolle gespielt haben könnte, lässt Pamela Potter hingegen offen. Nach Michael Staudinger sei in einem Gutachten zu Schenk, das anlässlich seiner nach dem „Anschluß“ 1938 geplanten Berufung an die Universität Graz erstellt worden sei, dessen politische Loyalität hervorgehoben und auch betont worden, dass Schenk „selbstverständlich Pg“ sei. Schenk war mit seiner Berufung jedenfalls der Sprung auf die prestigereiche Stelle eines Ordinarius an der Wiener Universität gelungen, deren Lehrkanzel für Musikwissenschaft Guido Adler im Jahr 1898 begründet hatte. Die Universität Wien galt spätestens seit der Zwischenkriegszeit als eine „Hochburg des Antisemitismus“. Im Jahr 1938 wurden mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich mehr als 2.700 vorwiegend jüdische Angehörige der Universität Wien – darunter Lehrende, Studierende und Mitarbeiter*innen der Verwaltung – entlassen und in weiterer Folge vertrieben und/oder ermordet. Schenk kam also 1939 an eine Universität, deren „Säuberung“ von politisch und „rassisch“ Verfolgten bereits weitgehend abgeschlossen war.

Vor diesem Hintergrund betrachtet fällt es auf, dass der Musikwissenschaftler Franz Grasberger (1915–1981), ein Schüler von Robert Lach, in seinem Nachruf auf Schenk behauptete, dass es diesem „während der Kriegsjahre (…) in unerschrockenem persönlichen Einsatz“ gelungen sei, „seinen Vorgänger Guido Adler vor den krassesten Auswirkungen der Verfolgung durch den Nationalsozialismus zu bewahren und auch die umfangreiche Adler-Bibliothek zu retten“. Damit spielte Grasberger in kritikloser Übernahme der späteren Selbstdarstellung Schenks auf ein Schlüsselereignis während der Wiener Jahre Schenks an, nämlich auf die „Arisierung“ der Bibliothek von Guido Adler in den Jahren 1941/42. Schenk hatte an diesem Vorgang, wie im Folgenden näher ausgeführt werden wird, zusammen mit anderen individuellen und institutionellen Akteuren einen maßgeblichen Anteil.

Nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ bewahrte ihn der Umstand, dass ihm eine NSDAP-Mitgliedschaft nicht nachgewiesen werden konnte, davor, seine akademischen Ämter zu verlieren und entlassen zu werden. Andererseits hatte sich Schenk eine Reihe von Gegnern und Feinden gemacht, die gegenüber der US-amerikanischen Besatzungsmacht wie auch der österreichischen Regierung gegen ihn aussagten. Nach Matthias Pape habe die Wiener Musikwissenschaft in den Nachkriegsjahren „von den Professoren über Assistenten und Mitarbeiter bis hinunter zu den Doktoranden einem Schlangennest“ geglichen, „das Schenk zu bändigen suchte, während die anderen in ihm selbst eine Schlange sahen, vor der sie sich hüten mussten, da Schenk das Fach in Österreich monopolisierte und ohne ihn keine Karriere zu machen war“. Die Atmosphäre an dem von Schenk geleiteten Institut für Musikwissenschaft gestaltete sich somit offenkundig denkbar ungünstig.

Schenk konnte seine wissenschaftliche Karriere, nachdem er die Angriffe seiner Gegner unter Hinweis auf seine Nichtmitgliedschaft in der NSDAP erfolgreich abgewehrt hatte, bruchlos fortsetzen, wobei er auch höhere akademische Ämter erklomm: So bekleidete er im Studienjahr 1950/51 das Amt eines Dekans der Philosophischen Fakultät. 1957/58 wurde er zum Rektor der Universität Wien gewählt. Auch die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW), der Schenk seit 1944 als korrespondierendes Mitglied angehörte, wählte ihn bereits 1946 zu ihrem wirklichen Mitglied. Innerhalb der Akademie leitete er die Kommission für Musikforschung. Als Wissenschaftler trat er ferner seit 1947 bis zu seinem Tod als Herausgeber der „Denkmäler der Tonkunst in Österreich“ (42 Bände) und der „Studien zur Musikwissenschaft“ hervor. Seit 1964 war er Präsident der „Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst in Österreich“. Im Mozartgedenkjahr 1956 organisierte er den Wiener Internationalen Mozartkongress, auf welchen 1970 ebenfalls in Wien ein Beethoven-Symposion folgte. Im Jahr 1955 veröffentlichte er – wie eingangs erwähnt – eine Biographie Wolfgang Amadeus Mozarts. Gegen Ende seines Lebens erhielt Schenk zahlreiche staatliche und akademische Auszeichnungen und Ehrungen, wobei hier exemplarisch das österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst (1970), die Große Silberne Medaille der Mozartstadt Salzburg (Mai 1968), das Goldene Verdienstzeichen des Landes Salzburg (April 1972) sowie die Ehrendoktorate der Universitäten Brünn (Brno, Tschechien) und Rostock (beide 1969) hervorgehoben werden sollen. Landeshauptmann Hans Lechner (1913–1994) überreichte die Salzburger Auszeichnung im Rahmen einer Feier persönlich an Schenk, dessen Leistungen „auf dem Gebiete der Musik und der Mozart-Forschung“ damit gewürdigt werden sollten.

Am 11. Oktober 1974 starb Erich Schenk unerwartet im Alter von 72 Jahren in Wien. Wie Grasberger in seinem Nekrolog auf Schenk mitteilte, überraschte der Tod den Musikhistoriker „beim Lesen der letzten Umbruchkorrektur zur zweiten, neu bearbeiteten Auflage seiner 1955 erstmals erschienenen großen Mozart-Biographie“. Damit stilisierte er seinen verstorbenen Kollegen zu einem unermüdlich tätigen Gelehrten, dem erst der Tod die Feder aus der Hand gerissen habe. Schenk wurde von seiner Witwe Margaretha, geborene Fellner, betrauert. Er war mit ihr seit 5. März 1963 verheiratet gewesen. Margaretha Schenk, eine gebürtige Wienerin, bemühte sich bis zu ihrem Tod intensiv um das Andenken ihres Mannes. Sie regte an, am Geburtshaus ihres Mannes in der Sigmund-Haffner-Gasse eine Gedenktafel anzubringen, schenkte die Bibliothek ihres Mannes 1979 der Internationalen Stiftung Mozarteum, und war eine „Gönnerin der Mozart-Gedenkstätte“ in St. Gilgen, die sie alljährlich mit einer finanziellen Zuwendung und nach ihrem Ableben großzügig in ihrem Testament bedachte.

 

Erich Schenk, die NSDAP und das SS-„Ahnenerbe“

Das von der ÖAW herausgegebene Österreichische Musiklexikon gibt die biographischen Daten zu Erich Schenk in deskriptiver Weise wieder. Schenks Wirken während des „Dritten Reiches“ wird in dem Lexikoneintrag lapidar mit dem folgenden Satz abgehandelt: „Sein [Schenks; Anm. d. Verf.] wissenschaftliches und menschliches Verhalten während der Zeit des Nationalsozialismus (u. a. Zusammenarbeit mit dessen ‚Chefideologen‘ Alfred Rosenberg) ist in letzter Zeit durchaus berechtigt kritisch, z. T. leider auch überzogen beurteilt worden.“ In den Literaturangaben dieses Lexikoneintrags fehlen allerdings Angaben zu den neueren kritischen Arbeiten über Schenk, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden, wie jene von Matthias Pape, Yukiko Sakabe oder Anna Maria Pammer. Inwieweit Schenks Aktivitäten in den Jahren der NS-Herrschaft „berechtigt kritisch“ oder „überzogen beurteilt“ worden seien, lässt sich daher aufgrund der Angaben in diesem Eintrag, die zuletzt im Mai 2001 aktualisiert wurden, nicht nachprüfen.

Eine kritische Bewertung von Schenks wissenschaftlichen und publizistischen Aktivitäten in den Jahren nach 1933/38 und die Analyse seiner Verhaltensmuster in spezifischen wissenschaftlich-politischen Konstellationen vor und nach 1933/38/45 sollte sich einer Erörterung der Frage nicht entziehen, in welcher Beziehung Schenk zur NSDAP bzw. ihren Gliederungen stand. Hierbei ist nach Matthias Pape zu berücksichtigen, dass ein Beitritt zur NSDAP vor dem „Anschluß“ Schenks „Karriere im Reich gefördert, aber eine Berufung nach Österreich ausgeschlossen“ hätte. Die NSDAP wurde in Österreich nämlich am 19. Juni 1933 nach einer Serie nationalsozialistischer Sprengstoffattentate verboten. Schenk war damals noch als unbesoldeter Privatdozent an der Universität Rostock tätig. Es dürfte für ihn daher auf der Hand gelegen sein, dass er sich die Chance einer allfälligen Rückkehr nach Österreich nicht dadurch nehmen lassen wollte, indem er in Deutschland der NSDAP als Vollmitglied beitrat. Seine Entscheidung, sich am 2. August 1934 dem fünf Jahre zuvor als einem der NSDAP angeschlossenen Verband gegründeten Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) anzuschließen, erscheint so wie eine Kompromisslösung, mit welcher Schenk seine Karrierechancen in Deutschland und Österreich wahren wollte.

Diese Hypothese könnte allerdings dadurch an Plausibilität verlieren, wenn man bedenkt, dass der NSD-Dozentenbund bis 1935 nur Mitglieder der NSDAP in seine Reihen aufnahm. Schenk war indes bereits 1934 dem NSLB, der die Vorläuferorganisation des Dozentenbunds war, beigetreten. Der NSD-Dozentenbund selbst hatte seit dem 24. Juli 1935 den Status einer eigenständigen Gliederung der NSDAP und verfolgte den Zweck einer ideologischen Beeinflussung und politischen Kontrolle der Hochschullehrerschaft. Der organisatorische Aufbau des Dozentenbunds folgte den Verwaltungsstrukturen der NSDAP und wurde mit dieser „auf allen Ebenen organisatorisch verbunden“. Im Jahr 1938 gehörten dem Dozentenbund etwa ein Viertel aller deutschen Hochschullehrer an, wobei er vor allem an den Philosophischen Fakultäten der Universitäten Zulauf fand. Pammer zieht hieraus den Schluss, dass „Schenk (…) nicht die volle Wahrheit gesagt haben“ könne, denn in seinem Personalblatt vom Mai 1945 habe er die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer Gliederung der NSDAP verneint. Seine Mitgliedschaft zum NSD-Dozentenbund ist indes aktenkundig. Schenk trat am 2. August 1934 in den NSLB ein. Er verfügte über die Mitgliedsnummer 310.131.

Während Erich Schenk also nur einer Gliederung der NSDAP, nicht aber der Partei selbst angehörte, scheint seine Selbstdarstellung in der Zeit des „Dritten Reiches“ eher das Gegenteil nahezulegen: So führt Pammer eine Reihe von Aussagen von Zeitzeugen an, die nach 1945 bezeugten, dass Schenk das Parteiabzeichen der NSDAP häufig öffentlich getragen haben soll. Aussagen, die zum Teil recht detailliert auf die geschickte Art eingehen, wie sich Schenk offensichtlich überzeugend als Nationalsozialist gab, machten insbesondere der Komponist Friedrich Cerha (*1926) und die Musikwissenschaftler Erwin Ratz (1898–1973), Rudolf von Ficker (1886–1954) und Robert Haas. Letzterer gab gegenüber dem Unterrichtsministerium sogar an, dass seine „Hörer aus den Jahren 1939/40 (…) unter Eid“ aussagen könnten, „daß Schenk mit dem Parteiabzeichen herumgegangen ist“. Schenk agierte damit ähnlich wie der in der NS-Zeit und ab 1947 neuerlich am Salzburger Mozarteum wirkende österreichische Komponist Cesar Bresgen (1913–1988), der seinen Mitlebenden vielfach ebenso kaum hinterfragt als „Parteigenosse“ galt. Bresgen hatte zwar einen hohen HJ-Rang inne, er war aber nie ein Mitglied der NSDAP.

Der österreichische Musikwissenschaftler und Dirigent Robert Haas war hingegen seit 1933 NSDAP-Mitglied gewesen. Nach 1945 verlor Haas seine Lehrbefugnis an der Universität Wien. Über Schenk sagte er nach dem Krieg Folgendes aus:

„Als Schenk nach Wien kam, trug er das Parteiabzeichen, ich habe es im Herbst 1939 in Wien und zuvor schon am 13. Juni 1938 (richtig: 1939) in Salzburg an ihm gesehen, im Schloss Leopoldskron beim Empfang des Reichsministers Rust. Seine Parteizugehörigkeit wurde mir in Wien immer vorgehalten, sooft ich bei führenden Persönlichkeiten Vorstellungen gegen ihn erhob (…) Der Gaudozentenführer Rektor Kurt Knoll (…) hat Schenk ausdrücklich als Pg. bezeichnet. Ebenso der Generaldir.[ektor] der Nationalbibl.[iothek] Paul Heigl bei verschiedenen Unterredungen im Herbst 1939 und später, Heigl hat dabei die niedrige Parteinummer Schenks erwähnt – gegenüber meiner damals jungen Anmeldung zur Aufnahme. Nach seinem Amtsantritt in Wien erklärte mir endlich Schenk mehrmals, er sei vom Reichsminister Rust mit dem besonderen Auftrag nach Wien geschickt, hier ‚mit eisernem Besen Ordnung zu schaffen‘.“

Als Nichtmitglied der NSDAP hätte Schenk mit diesen symbolischen Bekundungen seiner Nähe zur Partei- und Staatsführung, die angesichts der späteren Aussagen mehrerer Zeugen offenbar keineswegs vereinzelte Manifestationen gewesen sind, ein nicht unbeträchtliches persönliches Risiko auf sich genommen. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Zeitzeugen bei Schenk ein anderes Abzeichen sahen und dieses mit dem Parteiabzeichen verwechselten. Wie Bernward Dörner erläutert, dokumentierte das Abzeichen der NSDAP „die Zugehörigkeit des Trägers zur regierenden Staatspartei (…). Der Missbrauch des P.[arteiabzeichens] wurde hart bestraft. Es durfte nur von Vollmitgliedern der Partei getragen werden.“

Die insgesamt als undurchsichtig zu bezeichnenden Vorgänge um Schenks Beziehungen zur NSDAP sind damit noch keineswegs erschöpfend dargestellt. So gab er im Jänner 1936 gegenüber der Universität Rostock an, dass er der NSDAP zwar nicht als Mitglied angehöre, wohl aber dem „Opferring der NSDAP“. Im September 1938 informierte Schenk das Kuratorium der Universität Rostock zudem darüber, dass er „seit 1937 Lektor in der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des N.S. Schrifttums“ sei. Diese Prüfungskommission war tatsächlich, wie Pammer festhält, „nicht nur ein Instrument der NSDAP, sondern ein Hauptamt der NSDAP-Reichsleitung“. Dass Schenk mit dieser Funktion in enger Beziehung zur NSDAP-Spitze stand, kann wohl kaum bestritten werden. Diese Kommission war im März 1934 als eine Art Zensurstelle gegründet worden, um nicht NS-genehmes Gedankengut sowie sogenanntes nationalsozialistisches „Konjunkturschrifttum“ zu unterdrücken. Dies wiederum bedeutet mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass Schenk aus der Sicht der geeichten Nationalsozialisten als zuverlässiger, loyaler und politisch einwandfreier Gesinnungsgenosse galt. Umso mehr ist es angesichts dieser Quellenlage mit Pammer als „verblüffend“ zu bezeichnen, dass Schenk seine Mitgliedschaft im NS-Lehrerbund „weder in Rostock noch bei seiner Berufung nach Wien“ erwähnt hat.

Deutlich klarer als die komplexe Frage seiner Affinität zum Nationalsozialismus treten Schenks Zuarbeit für das „Amt Rosenberg“ und seine Verbindung zum Musikwissenschaftler Herbert Gerigk (1905–1996) hervor, der die „Hauptstelle Musik beim Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“ leitete. Nach dem Krieg verschwieg Schenk, dass er zu dieser Dienststelle des „Reichsleiters Rosenberg“ ein Nahverhältnis gehabt hatte. Innerhalb dieser Organisation zählte Schenk zu den freiwilligen Mitarbeitern des „Amtes Schrifttumspflege“, das seine Elaborate etwa in der Reihe „Die Bücherkunde“ oder in der „NS-Bibliographie“ veröffentlichte. Im Spätherbst 1941 veröffentlichte er anlässlich der „Mozartwoche des Deutschen Reiches“ in Salzburg und Wien eine Schrift mit dem Titel „Das Ahnenerbe“, in welcher er „das stammesbedingte Ahnenerbe als schicksalhafte Grundlage“ bei Mozart nachzuweisen suchte. Indem er die deutsche „Stammesbegabung und Stammesart“ der Familie Mozart und die Zugehörigkeit von Mozarts Eltern zum „Lebensraum des deutschen Volkes“ herausstrich, bewegte er sich zweifelsfrei auf der ideologischen Linie der stammestypologischen und rassenkundlichen Lehren der Nationalsozialisten.

Im März 1941 richtete eine von Gerigks Mitarbeiterinnen, die gebürtige Österreicherin Dr. Marlise Hansemann, im Auftrag ihres Vorgesetzten die folgende Anfrage an Schenk, der damals bereits Ordinarius für Musikwissenschaft an der Universität Wien war:

„Auf Anregung von Dr. Gerigk wende ich mich mit der Bitte an Sie, uns in einigen Fragen, das Judenlexikon betreffend, an die Hand zu gehen. Es handelt sich um die Geburtsdaten, den Geburtsort und die Bestätigung der jüdischen Rassezugehörigkeit bei nachfolgenden ehemaligen Studenten der Universität Wien, die dort ihre musikwissenschaftlichen Dissertationen geschrieben haben (…). Sie sitzen an der Quelle, sehr geehrter Herr Professor, und daher bitten wir Sie, Daten und Konfessionen und vielleicht sonstige für unser Lexikon der Juden in der Musik wertvolle Hinweise über folgende Namen aus den Akten suchen zu lassen: [es folgen sechs Namen von Dissertant*innen].“

Mit dem in der Anfrage angesprochenen „Lexikon der Juden in der Musik“ beabsichtigte Gerigk zusammen mit seinem Ko-Herausgeber Theophil Stengel (1905–1995), alle jüdischen Musikausübenden in Deutschland zu erfassen. Das Lexikon war nach Gerigk ausdrücklich nicht zur „Verewigung der jüdischen Erzeugnisse gedacht und stand mit dem NS-Kunstraub des von Gerigk geleiteten „Sonderstabs Musik“ in den besetzten Gebieten in enger Verbindung. Das Sichtbarmachen des vermeintlich „Jüdischen“ sollte die geistige Liquidation der deutsch-jüdischen Musikkultur so rasch als möglich abschließen: Da indes „hie und da einzelne Juden (…) als die Meister der Tarnung“ unerkannt bleiben würden, sei die von ihm herausgegebene Enzyklopädie, so Gerigk wörtlich, „eine Handhabe zur schnellsten Ausmerzung aller irrtümlich verbliebenen [jüdischen] Reste aus unserem Kultur- und Geistesleben“. Dass die von dem Lexikon intendierte geistige Liquidation jüdischer Kulturschaffender als eine der Vorstufen der physischen Vernichtung der betroffenen Künstler und Gelehrten zu sehen ist, braucht an dieser Stelle nicht näher ausgeführt zu werden.

Auf welche perfide Weise vermeintliche „Musikjuden“ (so die Diktion Hansemanns in ihrem Schreiben an Schenk) in diesem antisemitischen Machwerk ausgegrenzt, diffamiert und virtuell vernichtet wurden, lässt sich anhand des Eintrags „Adler, Guido“ anschaulich belegen. Das Lexikon behauptete nämlich, dass Adler seine „führende Stellung in der österreichischen Musikwissenschaft (…) zur Verherrlichung seines Rassegenossen Gustav Mahler“ benutzt habe. Ferner gibt es an, dass Adler am 14. Dezember 1933 in Wien verstorben sei. Adler stand zu dem Zeitpunkt, als die Gerigk-Schrift veröffentlicht wurde, in seiner Wiener Wohnung de facto unter Hausarrest und war somit am Leben. Dass Schenk, der einer von Adlers Nachfolgern als Ordinarius für Musikwissenschaft an der Universität Wien war, von diesem Lexikoneintrag Kenntnis hatte, kann wohl angenommen werden. Ob er eventuell selbst die bewusst irreführende Angabe zum vermeintlichen Tode Adlers vorgeschlagen hatte, ist nicht bekannt und kann daher mangels entsprechender Indizien nicht behauptet werden.

Auf die oben erwähnte Anfrage der Gerigk-Behörde vom März 1941 reagierte Schenk nach Pamela M. Potter jedenfalls „nahezu postwendend“: Er verriet die jüdischen Absolvent*innen seines Instituts und gab nicht nur deren Namen, sondern wie von Hansemann erbeten auch deren Geburtsort und -jahr sowie deren „Volks-“ und „Rassezugehörigkeit“ an. Gerigk dankte Schenk brieflich und meinte wörtlich: „Eine genaue Durchsicht der Wiener Promoventen (sic) würde wahrscheinlich noch manchen fetten Juden zu Tage fördern.“

Erich Schenk arbeitete mit Herbert Gerigk indes nicht nur bei der Erstellung des „Lexikons der Juden in der Musik“ zusammen, sondern er veröffentlichte 1940 auch eine Biografie von Johann Strauss (Sohn), die in der von Gerigk herausgegebenen Schriftenreihe „Unsterbliche Tonkunst“ erschien. Darin bezeichnete er in denunziatorischer Weise jeden einzelnen Juden als solchen. Forschungsergebnisse zu Pathologien Johann Strauss‘, wie sie Ernst Décsey (1870–1941) vorgelegt hatte, tat er als „selbstherrliche Deutung und journalistische Redefreude“ ab, die in Strauss‘ Werdegang nicht vorgekommen seien, „bis der Jude Décsey nach dem Weltkrieg daran ging, es orts- und zeitgeschichtlich zu unterbauen (…)“. Schenk war überdies als Mitarbeiter an der Enzyklopädie „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“ vorgesehen, für die er über die Instrumentalmusik des 17. und frühen 18. Jahrhunderts einen Beitrag verfassen sollte. Dieses Werk hatte seine Ursprünge zwar im Nationalsozialismus, es wurde aber erst nach 1945 veröffentlicht. Schenk war zusammen mit anderen ehemaligen NS-Musikwissenschaftlern in dem Lexikon mit eigenen Beiträgen vertreten. Gerigk selbst kam nach 1945 als Mitherausgeber nicht mehr in Frage, da er politisch untragbar geworden war.

Erich Schenk trat mit einer Gruppe um Gerigk und seinen Kollegen Werner Korte (1906–1982) und Erich Schumann (1898–1985), der ein „alter Parteigenosse“ der NSDAP war, 1937 beim Treffen der „Deutschen Gesellschaft für Musikwissenschaft“ (DGMW) auf, die diese Organisation kurzerhand für illegal erklärte. Hintergrund dieser Aktion war Gerigks Bestreben, die Kontrolle über die Musikwissenschaft zu erlangen und deren Aktivitäten diktatorisch zu beherrschen. Die Auseinandersetzungen der DGMW mit dem von Gerigk vertretenen „Amt Rosenberg“ hatten nichts mit einer ideologischen Opposition gegen den Nationalsozialismus zu tun; eher dürfte es um interne Machtkämpfe gegangen sein, wie sie strukturell gesehen für den Nationalsozialismus insgesamt charakteristisch gewesen sind.

Dass Schenk und viele seiner damaligen Kollegen „die Anbindung an das Amt Rosenberg suchten“ und dies als „eine Vorsichtsmaßnahme“ sahen, „von der sie sich Sicherheitsgarantien und politischen Einfluß für die Zukunft erhofften“, sollte nicht von vornherein als abwegig beurteilt werden. Dies berührt zweifellos die grundlegende Frage nach den potenziellen Handlungsspielräumen, die Wissenschaftler unter den wissenschaftlich-politischen Bedingungen des „Dritten Reiches“ hatten. Wenn sich Schenk deshalb für das „Amt Rosenberg“ engagiert haben sollte, weil er sich etwa einen größeren Handlungsspielraum abseits einer nationalsozialistisch kontaminierten wissenschaftlichen Praxis zu sichern hoffte, hätte dies wohl mit sich gebracht, dass er sich zumindest am Rande des NS-Wissenschaftsbetriebs zu halten gesucht hätte. Wenn man die Literatur zu Schenk und seine zeitgenössischen Schriften und Aktivitäten genauer in den Blick nimmt, drängt sich aber vielmehr der Eindruck auf, dass er vielfach selbst aktiv den Kontakt zu verschiedenen Stellen innerhalb des polykratischen Geflechts der NS-Wissenschaftspolitik suchte.

Schenk platzierte sich somit nicht am Rande, sondern im Gegenteil im Zentrum nationalsozialistischer Wissenschaftspraktiken. Abgesehen vom „Amt Rosenberg“ und Herbert Gerigk verfügte er über beste Beziehungen auch zum REM, speziell zu dessen Ministerialrat Hermann-Walter Frey. Schenks Berufung auf die Stelle eines Ordinarius für Musikwissenschaft an der Universität Wien ist daher nach Pape im Zusammenhang mit den Bemühungen des zuständigen Ministeriums nach dem „Anschluß“ Österreichs zu sehen, möglichst politisch loyale Repräsentanten der Wissenschaft auf österreichische Lehrstühle zu berufen. Mit Albert Reitter (1895–1962), dem Regierungspräsidenten im Reichsgau Salzburg von 1940 bis 1944, scheint Schenk übrigens ebenfalls in einem guten Einvernehmen gestanden zu sein.

Recht typisch für das Verhalten Schenks, der „den Eindruck“ erwecken wollte, „dazuzugehören“, ist ferner, dass er auch an das SS-„Ahnenerbe“ herantrat und diesem seine Dienste anbot: Die Politik der „Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe“ zielte speziell in außerhalb der deutschen Reichsgrenzen liegenden Regionen darauf ab, „wertvolle kulturelle Bestandsstücke zu enteignen, als auch, sich einen Überblick über die kulturellen Aktivitäten der Region zu verschaffen“. Eine der für das SS-„Ahnenerbe“ wichtigen Regionen bildete Südtirol, wo dessen Geschäftsführer Wolfram Sievers (1905–1948) eine Zentrale einrichtete. Ein wissenschaftlicher Stab des Musikforschers Alfred Quellmalz (1899–1979) suchte die volkskulturelle Überlieferung Südtirols zu sichern und damit die deutsche Kultur in einem aus nationalsozialistischer Sicht gefährdeten deutschen „Grenzland“ zu bewahren. Im Jahr 1942 schlug Erich Schenk eine Zusammenarbeit zwischen seinem Wiener Universitätsinstitut und dem „Ahnenerbe“ vor, wobei er die Absicht verfolgte, vermeintliche „germanische Überreste“ in der italienischen Musik des sechsten bis sechzehnten Jahrhunderts zu erforschen. Da Schenk sich „mit einer ganzen Mappe voller Empfehlungen von SS-Offizieren“ an das „Ahnenerbe“ gewandt hatte, konnte Sievers dessen Ansinnen nicht einfach rundweg ablehnen. Er schlug ihm stattdessen ein kleineres Projekt vor, das allerdings nie zustande kam.

Für die hier interessierende Fragestellung ist nicht so sehr die Tatsache entscheidend, dass das von Schenk vorgeschlagene Projekt nicht verwirklicht wurde, sondern dass er sich in eigener Initiative an eine NS-spezifische Forschungseinrichtung mit dem Angebot wandte, mitzuarbeiten. Dass das SS-„Ahnenerbe“ keineswegs unpolitisch war und konkrete politische Interessen verfolgte, musste ihm bewusst sein. Im Vergleich zu Gerigk, dessen Antisemitismus „absolut gnadenlos“ war, schreckte Schenk gegen Ende der NS-Zeit davor zurück, sich in ähnlich ungehemmter Weise wie sein Kollege vom „Amt Rosenberg“ an der Jagd nach jüdischen Musikwissenschaftlern und Studierenden zu beteiligen. So schrieb der Wiener Ordinarius am 2. Mai 1944 an das „Amt Musik“:

„Ich habe hier einen Studenten, der ein Viertel nichtarisch ist. Derselbe hat sich vor dem Feind das Infanterieabzeichen in Silber erworben und ist überhaupt ein anständiger Kerl. Er ist ausnehmend begabt und charakterlich so einwandfrei, daß man ihm sein rassisches Manko beim besten Willen nicht ansieht, resp. es in seiner Haltung erkennt (…). Der Mann wurde ausgemustert und ist nunmehr davon bedroht, sein Studium aufgeben zu müssen (…). Die Rassengesetzgebung ist eben in Wien, wo ja eine Mischkulanz sondergleichen beieinander ist, besonders schwierig zu befolgen. Ich frage nun (]) ob und wie man diesem Individuum helfen kann, d. h., ob man ihn bis zum Abschluß des Studiums sichern und ihn dann in eine Stellung bringen kann, die ihm eine fruchtbare Arbeitsmöglichkeit bietet.“

Herbert Gerigk lehnte Schenks Ansinnen indes rundweg ab. Seiner Auffassung nach sollte man einem „solchen Menschen gar nicht erst die Möglichkeit zum Studium geben“. Beide Briefschreiber äußerten sich in menschenverachtender Tonlage gegenüber diesem Wiener Studenten, den sie nicht einmal namentlich nannten. Welche Motive Schenk mit seiner Intervention verfolgte, ob er hier einfach seine menschenfreundliche Seite zeigte oder ob er sich etwa in Voraussicht der nahenden Kriegsniederlage des Deutschen Reiches eine bessere Ausgangslage für die Zeit nach dem Ende des „Dritten Reichs“ verschaffen wollte, bleibt wiederum im Bereich der Spekulation. Schenk hatte jedenfalls einen Anteil an dem von Gerigk herausgegebenen „Lexikon der Juden in der Musik“, das zweifellos in den Kontext der Judenverfolgung des „Dritten Reiches“ eingeordnet werden muss. Dass Schenk gegen Ende des Zweiten Weltkriegs sich im Vergleich zu Gerigk eher zurückzuhalten schien, ändert kaum etwas daran, dass er in seiner Position als Ordinarius für Musikwissenschaft an der Universität Wien in voller – zumindest äußerlich anhand seiner wissenschaftlich-politischen Aktivitäten sichtbaren – Übereinstimmung mit der NS-Politik handelte und er seinen Eifer bisweilen weiter trieb, als dies vermeintlich notwendig gewesen wäre, um sich in seiner Position zu halten.

 

Die „Arisierung“ der Bibliothek von Guido Adler

Die Rolle von Erich Schenk bei der „Arisierung“ der Bibliothek und des wissenschaftlichen Nachlasses von Guido Adler wurde erst in den letzten Jahren in der Forschungsliteratur auf breiter Quellengrundlage aufgearbeitet. Mittlerweile ist es daher möglich, die empirisch gesicherten Sachverhalte zu diesem Thema darzustellen. Es wird dabei deutlich, dass Schenk zweifellos eine Mitverantwortung an diesen Vorgängen hatte. Viele Fragen bleiben jedoch, wie im Folgenden sichtbar wird, weiterhin offen, und es bleibt dem Historiker daher vielfach nichts anderes übrig, als im Modus der so gut als möglich „begründeten Vermutung“ zu argumentieren.

Guido Adler hatte sich während seiner aktiven Zeit als Ordinarius für Musikwissenschaft an der Universität Wien eine umfangreiche Bibliothek aufgebaut. Sein wissenschaftlicher Nachlass war äußerst wertvoll und enthielt neben einer musikwissenschaftlichen Bibliothek u. a. Briefe von Johannes Brahms, Anton Bruckner, Richard Strauss, Alma und Gustav Mahler, mit denen er korrespondiert hatte. Adler war 44 Jahre lang Herausgeber der „Denkmäler der Tonkunst in Österreich“ gewesen (deren Herausgabe Schenk fortsetzte) und emeritierte im Jahr 1927. Nach dem „Anschluß“ Österreichs an das Deutsche Reich war er dazu verpflichtet, das „Verzeichnis über das Vermögen von Juden nach dem Stand vom 27. April 1938“ auszufüllen und dieses der Vermögensverkehrsstelle zukommen zu lassen.

Am 15. Februar 1941 starb Guido Adler in Wien eines natürlichen Todes. Sogleich begannen konkurrierende Behörden, Ämter und Institute mit einer Art Wettlauf in dem Bestreben, sich möglichst große Teile der Bibliothek und des Nachlasses Adler anzueignen. Erich Schenk war als Ordinarius des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Wien nur einer von mehreren individuellen und institutionellen Akteuren, die bei dieser „Arisierung“ auftraten. Melanie Adler (1888–1942) hatte in dem „unwürdige[n] Schauspiel“ um das Vermögen ihres Vaters letztlich keine Chance, an ihr Erbe zu gelangen. Die Tochter des verstorbenen Musikwissenschaftlers war selbst promovierte Medizinerin, ohne jemals als Ärztin praktiziert zu haben. Nach dem Tod der Mutter lebte sie seit 1938 im Haushalt ihres pflegebedürftigen Vaters, den sie fürsorglich abschirmte.

Um die komplexen Vorgänge rund um diese „Arisierung“ besser nachvollziehen zu können, wird im Folgenden eine tabellarische Chronologie der Ereignisse gebracht und hierbei jeweils Schenks Anteil dargestellt:

Ende 1940               Dem 86-jährigen Guido Adler und seiner Tochter Melanie droht die Delogierung aus ihrer Wohnung in Wien 19, Lannerstraße 9. Freunde setzen sich für sie ein. Auch Schenk verfasst eine Eingabe zugunsten Adlers, obwohl, wie er in seinem Schreiben bemerkt, es ihn ekle, sich mit einem Juden befassen zu müssen („Obwohl es mir widerstrebt, über einen Volljuden ein Gutachten abzugeben (…)“).

15. Februar 1941     Guido Adler stirbt in seiner Wohnung in Wien.

31. März 1941         Erich Schenk informiert das REM darüber, dass er die Bibliothek und den wissenschaftlichen Nachlass Adlers „sichergestellt“ habe. Diese Vorgangsweise Schenks „diente, wie es scheint, (…) dazu, die Tochter Adlers daran zu hindern, ihr Verfügungsrecht über die Bibliothek auszuüben“.

4. April 1941            Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) Wien (Alfons Blaschko) informiert den Generaldirektor der Nationalbibliothek, Paul Heigl (1887–1945), darüber, dass die Gestapo die Adler-Bibliothek beschlagnahmt habe und diese dem Rechtsanwalt Dr. Richard Heiserer, dem Vertreter der Erbin und Abwesenheitskurator Guido Adlers, zur Verwahrung übergeben habe. Das freie Verfügungsrecht über das Erbe ihres Vaters war Melanie Adler dadurch bereits entzogen worden.

4. Mai 1941             Melanie Adler schreibt an Rudolf von Ficker, einen Schüler ihres Vaters: „Der Anwalt ist mir (…) keine Stütze. Die Besichtigung (…) wurde mir durch den Anwalt aufgedrungen, der sich in meiner Abwesenheit des Schlüssels der Bibliothek bemächtigt hat. Er droht mit der Gestapo, um mich einzuschüchtern und die Sache den anderen in die Hände zu spielen.“

5. Mai 1941             Das REM schreibt in Beantwortung seines Berichts vom 31. März an Erich Schenk, dass es „im Hinblick auf die in der Bibliothek Guido Israel Adler möglicherweise vorhandenen Manuskripte, Erstdrucke und sonstigen Unica eine loyale Teilung der Bestände zwischen der Wiener National-Bibliothek und Ihrem Institut für angebracht“ halte.

6. Mai 1941             Besichtigung der Bibliothek Adlers durch Robert Haas und Leopold Nowak (Assistent Schenks am Institut für Musikwissenschaft) im Beisein von Rechtsanwalt Heiserer. Die Bibliothek sollte noch „verkauft“ werden. Heiserer selbst hatte sich ohne Rücksprache mit Melanie Adler Objekte angeeignet, darunter die Partitur des Mahler-Liedes „Ich bin der Welt abhanden gekommen“.

9. Juni 1941            Zwei Büchersachverständige nehmen eine Schätzung der musikwissenschaftlichen Bibliothek vor, die weit unter den marktüblichen Preisen liegt.

10. Juni 1941           Generaldirektor Heigl meldet bei der Gestapo Wien namens der Nationalbibliothek seine Ansprüche auf die Bibliothek Adler an.

Weihnachten 1941    Melanie Adler taucht unter, sie wird aber vermutlich im Mai 1942 entdeckt.

23. Februar 1942     Die Wiener Gestapo informiert Heigl darüber, dass aufgrund der „Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens“ vom 18. November 1938 das gesamte Vermögen sowie alle Rechte und Ansprüche Melanie (und somit Guido) Adlers eingezogen seien. Für die Verwaltung des Vermögens war somit der Reichsstatthalter in Wien zuständig.

7. April 1942            Heigl ersucht den Wiener Gauleiter Baldur von Schirach, das Musikwissenschaftliche Institut an der Zuweisung der Buchbestände zu beteiligen. Er stellt den Antrag auch im Namen von Erich Schenk.

12. Mai 1942           Gemeinsame Besichtigung der Sammlung unter Vorsitz eines leitenden Beamten und Aufteilung unter den interessierten Instituten. Der gesamte Nachlass Guido Adlers wird zunächst zur vorläufigen Verwahrung ins Musikwissenschaftliche Institut übergeführt.

13. Mai 1942           Erich Schenk verfertigt ein Protokoll zu dieser Besprechung, in welchem er seinen Anspruch auf die Sammlung Adler unter Berufung auf den antisemitischen Leiter der Musiksammlung der Nationalbibliothek, Robert Haas, damit rechtfertigt, dass Adler das meiste ohnehin gestohlen habe. Schenk: „(…) zumal ein Grossteil des letztgenannten Materials nach Aussagen von Herrn Universitätsprof.[essor] Haas aus dem Seminar stammt und nur widerrechtlich in den Besitz des Verstorbenen gelangt ist“. Seine eigenmächtige „Sicherstellung“ des gesamten Nachlasses sei von den Sitzungsteilnehmern als „zweckmässig“ anerkannt worden. Weiters führt Schenk in dem Protokoll aus, dass „wichtige Bestandteile“ der Adler-Bibliothek bereits vor der Beschlagnahmung durch die Gestapo „aus ihr entfernt“ worden seien. Es ist nicht auszuschließen, dass dahinter eine „Schutzbehauptung Schenks“ stand, denn damit rechtfertigte er zusätzlich, dass er selbst eigenmächtig eine „Sicherstellung“ des Nachlasses für sein Institut veranlasst hatte.

30. Juni 1942           Schenk überweist einen Teil des schriftlichen Nachlasses Adlers an die Musiksammlung der Nationalbibliothek.

20. Mai 1942           Melanie Adler wird mit dem Transport 22 Zug Da 203 von Wien nach Minsk deportiert und direkt nach ihrer Ankunft im Vernichtungslager Maly Trostinec nahe Minsk am 26. Mai 1942 ermordet.

Oktober 1945          Rudolf von Ficker schildert in einem unwidersprochen gebliebenen Memorandum die Vorgänge bei der „Arisierung“ des Adler-Nachlasses. Ficker stand 1941 in brieflichem Kontakt mit Melanie Adler. In der Denkschrift führt er aus, dass Erich Schenk nach dem Tode Guido Adlers dessen Tochter unter Druck gesetzt habe, die Sammlung Adler seinem Institut zu überlassen. Melanie Adlers Anwalt sei selbst mit Schenk in Verbindung gewesen und habe diese ebenfalls unter Druck gesetzt. „Prof. Schenk selbst blieb zwar gewöhnlich im Hintergrund. Er schob vielmehr seinen Assistenten Prof. Dr. Nowak vor.“ Am 8. Mai 1941 sei er im Musikwissenschaftlichen Institut Zeuge gewesen, „wie dort gerade die Bibliothek Adlers samt allen persönlichen Dokumenten und Zubehör abgeladen und aufgestapelt wurde. Prof. Schenk, den ich vorher nicht kannte, teilte mir zur Aufklärung mit, Frl. Dr. Adler habe sich „saudumm“ benommen, sie habe sich gegen das Gesetz vergangen, weil sie gegen die von ihm bei der Gestapo bewirkte Beschlagnahme der Bibliothek protestiert hätte. Sie sei jetzt geflüchtet, werde jedoch von der Gestapo schon gefunden werden, und dann heiße es: ‚Marsch, nach Polen!‘“ Er selbst, so Rudolf von Ficker, habe seither nichts mehr von „Fräulein Dr. Adler“ vernommen.

Wenn man bedenkt, dass Melanie Adler im Mai 1942 aufgegriffen wurde und umgehend ins Vernichtungslager Maly Trostinec deportiert wurde, wo sie ermordet wurde, stellt sich auch die Frage, wer sie denunziert hat. Es liegt kein archivalischer Beleg dafür vor, dass Schenk selbst dazu beigetragen haben könnte, dass sie „von der Gestapo schon gefunden“ werde. Schenks Behauptung, dass Adler einen erheblichen Teil seiner Bibliothek aus dem Musikwissenschaftlichen Seminar entwendet habe, ist hingegen archivalisch belegt. Hinsichtlich der Darstellung Fickers ist aus einer methodisch-quellenkritischen Sicht heraus die Problematik nicht von der Hand zu weisen, dass sie von dritter Seite aufgrund der verfügbaren Aktenüberlieferung nicht verifiziert werden kann. Es ist aber unbestritten, dass Ficker sich tatkräftig für Guido Adler und nach dessen Tod im Februar 1941 auch für Melanie Adler einsetzte. Im Falle Schenks tritt hingegen dessen – wie auch immer motiviertes – Interesse deutlich hervor, an Adlers Nachlass zu gelangen. Indem Schenk die Bibliothek Adlers unmittelbar nach dessen Tod eigenmächtig „sicherstellte“, setzte er eine Aktion, für die er als Universitätsprofessor mit Sicherheit nicht berechtigt war. Da er sich diese vorgebliche „Sicherstellung“ nachträglich legitimieren ließ, lässt dies den Schluss zu, dass er sich dessen durchaus bewusst war.

Auch steht der Vorwurf gegen Schenk nach wie vor im Raum, dass er es gewesen sei, der Melanie Adler unter Ausnützung ihrer existenziell gefährdeten Situation „nach dem Tod“ ihres Vaters massiv unter Druck gesetzt habe (Ficker spricht wörtlich von dem „brutale[n] Vorgehen des Herrn Prof. Schenk“), um in den Besitz der Bibliothek zu kommen. Nach 1945 suchte sich Schenk u. a. dadurch zu rechtfertigen, dass er einen Brief Melanie Adlers vorlegte, in welchem diese sich bei ihm dafür bedankte, dass er sich für ihren Vater eingesetzt habe. Dieser Brief datiert allerdings aus der Zeit vor dem Tod Guido Adlers. Auch ist nicht klar, unter welchen Umständen Melanie Adler diesen Brief verfasst hatte. Schenks nachträgliche Verteidigung, dass er sich für Guido Adler eingesetzt habe, um diesen vor der Verschleppung nach Polen zu bewahren, beruhte wesentlich auf diesem von ihm vorgelegten Briefdokument. Dieses verliert aber an Beweiskraft, wenn man bedenkt, dass Schenk im Zuge der Enteignung von Adlers Bibliothek erst nach dessen Tod tätig geworden ist.

 

Nachkriegszeit

Im Unterschied zu seinen Kollegen Robert Haas und Alfred Orel (1889–1967), die nach Kriegsende wegen ihrer NS-Involvierung ihrer Ämter enthoben wurden, wurde Schenk nicht als NSDAP-Mitglied geführt und konnte seine Lehrtätigkeit somit bruchlos fortsetzen. Damit wurde Schenk jene Konkurrenten los, die er bei der Nachfolge von Robert Lach 1939/40 in Wien ausgestochen hatte. Von den dubiosen Vorgängen rund um die „Arisierung“ des Adler-Nachlasses schien Schenk nach 1945 jedoch sehr wohl eingeholt zu werden: Insbesondere der damals in München tätige Musikhistoriker Rudolf von Ficker bemühte sich, die Rolle des Wiener Ordinarius für Musikwissenschaft in dieser Angelegenheit offenzulegen. So intervenierte Ficker 1946 bei der US-amerikanischen Besatzungsmacht gegen einen Verbleib Schenks im Amt, weil dieser sich bei der „Arisierung“ der Adler-Bibliothek nicht korrekt verhalten habe.

Im Falle der Adler-Bibliothek kam es tatsächlich zu einem Verfahren gegen Schenk, welches der Sektionschef des Unterrichtsministeriums, Otto Skrbensky (1887–1952), leitete. In seiner Gesamtbeurteilung berücksichtigte Skrbensky die für Schenk nachteiligen Aussagen von Ficker, Haas u. a. in einem verhältnismäßig deutlich geringeren Maß. Er folgte vielmehr der Verteidigungslinie Schenks, der diese Stellungnahmen als Ausdruck von persönlichen Animositäten und Konkurrenzdenken ansah. Michael Staudinger resümiert: „Den Briefen Melanie Adlers an Rudolf von Ficker, in denen sie die Ereignisse im Zusammenhang mit der Beschlagnahmung der Bibliothek schildert, wurde aufgrund des früher verfassten Dankschreibens an Schenk die Beweiskraft abgesprochen“. Kaum nachvollziehbar ist die Begründung, die Skrbensky in diesem Zusammenhang lieferte: „Frl. Adler habe nämlich zuletzt vollkommen den Kopf verloren.“ Staudinger schreibt hierzu treffend: „Einer von Deportation Bedrohten wird zur Last gelegt, dass sie unter psychischem Druck stand. Ein gutes Dutzend Briefe verliert an Bedeutung aufgrund eines einzelnen Schreibens – des Dankbriefes –, bei dessen Beurteilung der psychische Zustand der Verfasserin offensichtlich keine Rolle spielt.“

Die „Arisierung“ der Adler-Bibliothek zog für Schenk, der in der Nachkriegszeit zum Katholizismus konvertierte, keine rechtlichen Konsequenzen nach sich: Für Skrbensky schien die Enteignung der Bibliothek unter den Nationalsozialisten vielmehr eine gerechtfertigte Maßnahme gewesen zu sein. „Es sei ja im Interesse Österreichs gelegen, dass diese Bibliothek unserem Vaterlande erhalten blieb.“ Bundesminister Ernst Kolb (1912–1978) schloss sich dieser Denkrichtung an. Kolb teilte Schenk am 30. Juni 1952 in einem persönlichen Schreiben mit, dass die Anschuldigungen gegen ihn als „unrichtig erkannt“ worden seien und „sein korrektes Verhalten bei der Uebernahme der Bibliothek durch das musikwissenschaftliche Institut der Universität im Sinne einer Vermögenssicherung festgestellt worden“ sei.

Erich Schenk selbst hatte noch im Sommersemester 1945 seine Lehrtätigkeit an der Wiener Universität mit „Übungen zur Musikgeschichte Österreichs“ fortgesetzt, und er wurde im Oktober 1948 formal neuerlich zum ordentlichen Professor ernannt. Nach 1945 konzentrierte sich Schenk in Forschung und Lehre stark auf die Wiener Klassik und die Betonung einer „österreichischen“ Tradition in der Musikgeschichte. Schenks Wandlungsfähigkeit kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass er „Österreichs musikalische Weltgeltung“ bereits in einer 1946 publizierten Schrift „950 Jahre Musik in Österreich“ besonders hervorzuheben suchte. „Reichtum und Differenziertheit der österreichischen Stämme“ stellten laut Schenk, der hierin in der Tradition der „Stammesgeschichte“ von Josef Nadler (1884–1963) stand, „gewissermaßen ein Abbild der europäischen Verhältnisse dar“. Kennzeichnend für das Lehrangebot am Wiener Institut für Musikwissenschaft war einerseits die größtmögliche Kontinuität der Themenwahl und andererseits „die fortdauernde totale Verweigerung der musikalischen Moderne“.

Erich Schenk vermied es nach 1945, seine eigene Rolle als Musikwissenschaftler im „Dritten Reich“ anzusprechen. Ob er selbst sein Wirken im „Dritten Reich“ von Dokumenten zu „säubern“ suchte, die ihm nunmehr schaden könnten, lässt sich allerdings nicht belegen und bleibt daher eine unbewiesene Vermutung. Das wissenschaftliche Erbe Guido Adlers, das er ansonsten möglichst an den Rand zu drängen suchte, ließ sich jedoch nicht immer gänzlich verleugnen: So kam Schenk in seiner Inaugurationsrede, die er am 9. Dezember 1957 anlässlich des Antritts seines Rektorats an der Universität Wien hielt, nicht umhin, den Namen seines Vorvorgängers Guido Adler in einer Reihe mit anderen zu erwähnen. Für die kundigen Zuhörer war die Stoßrichtung der folgenden Aussage Schenks indes durchaus erkennbar: „Nach 1900“ sei nämlich „die historisch-biographische Arbeit vorschnell abgebrochen worden“, so dass „ausschließliche Strukturbetrachtung von Kunstwerken eine zu geringe Erkenntnistiefe für deren Wesenserfassung gewährleistete“. Damit sei „zwangsläufig eine Isolierung der Musikwissenschaft von ihren geisteswissenschaftlichen Nachbardisziplinen eingetreten“. Dass dies eine Spitze gegen die stilkritische Schule Adlers war oder zumindest einen kaum verhüllten Abgrenzungsversuch darstellte, dürfte sich aus dem oben Gesagten deutlich ergeben.

Die in den Nachkriegsjahrzehnten tradierten Narrative zum Schicksal von Guido Adler und dessen Bibliothek trugen insgesamt eher dazu bei, die wahren Sachverhalte zu verschleiern, als sie aufzuklären. Dies lässt sich etwa anhand des oben erwähnten Lexikons „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“ darlegen, für welches Schenk ironischerweise selbst das Lemma „Schenk, Erich“ verfasste. Mit Blick auf Adler suchte er folgende Erzählung zu tradieren, die allerdings eindeutig ins Reich der Fabel verwiesen werden muss: „1940 ging er [Schenk; Anm. d. Verf.] in Nachfolge R. Lachs als o. Prof. nach Wien: als solcher gelang es ihm, Adler vor der Verschleppung in ein Lager zu schützen und dessen Bibl.[iothek] vor dem Zugriff der NS-Behörden zu bewahren.“ In derselben Enzyklopädie schrieb Rudolf von Ficker, in dem Lexikoneintrag zu Guido Adler, ohne den Namen seines Gegenspielers Schenk zu erwähnen: „Seine wertvolle Bibliothek wurde nach seinem Tode ohne Entschädigung beschlagnahmt und dem von ihm begründeten Seminare zugewiesen.“ Wird Schenks oben zitierte geschichtsklitternde Tatsachenbehauptung zumindest durch Fickers Lexikonartikel konterkariert, so entlastet etwa ein Bericht zur Vergabe der Salzburger Landesauszeichnung an Schenk noch 1972 diesen nicht nur, sondern er rühmt Schenk auch als vermeintlichen „Retter“ von Adlers Bibliothek, ohne dass er die Adler-Bibliothek auch nur indirekt erwähnt: „Ab 1939 wirkte Dr. Schenk als ordentlicher Univ.-Prof. (…) der Universität Wien, rettete als solcher die unersetzlichen Bibliotheksbestände dieses Institutes [Musikwissenschaftliches Institut der Universität Wien; Anm. d. Verf.], so daß Wien heute bibliotheksmäßig das besteingerichtete musikwissenschaftliche Institut innerhalb des deutschen Sprachraumes besitzt.“

Erich Schenks Antisemitismus überschattete noch bis weit in die 1960er Jahre hinein seine Amtsführung als Direktor des Wiener Instituts für Musikwissenschaft. Dies belegt etwa ein Brief des Salzburger Theologen und Universitätsprofessors Pater Thomas Michels OSB (1892–1979) an den 1938 aus „rassischen“ Gründen emigrierten österreichischen Komponisten und Musikwissenschaftler Egon Wellesz (1885–1974), der selbst ein Schüler Arnold Schönbergs (1874–1951) gewesen war und bei Guido Adler promoviert hatte. Michels machte Schenk dafür verantwortlich, dass in Österreich keine Anstalten gemacht wurden, den inzwischen international hoch angesehenen Wellesz nach Wien zurückzuberufen: „Ich denke daran, wie ich mich über Menghin und Schenk 1937 bei dem ahnungslosen Schuschnigg beschwerte, weil sie Dich nicht aufkommen ließen. Ein Skandal, dass heute so etwas möglich ist. Aber die „Unentwegten“ sind immer noch da. Hoffentlich [Hervorhebung durch Michels] wird Schenk bald emeritiert. Aber wer weiß?“ Mit dieser Einschätzung stand der Benediktinerpater nicht allein, denn auch der österreichische Musikwissenschaftler Erwin Ratz (1898–1973) berichtete, Schenk habe verhindert, dass Wellesz nach Österreich zurückkommen konnte.

Dass es für Schenk wesentlich auch um die Frontstellung noch tonale versus atonale Musik ging, machte der Komponist und Musikwissenschaftler Gösta Neuwirth (*1937) in einem Interview deutlich. Als Neuwirth nämlich bei Schenk eine Dissertation über den Komponisten und Dirigenten Anton von Webern schreiben wollte, habe „dieser die Themenwahl ohne Angabe von Gründen“ abgelehnt und stattdessen empfohlen, „über Franz Schreker zu arbeiten“. Im Falle Weberns ging es dabei offensichtlich nicht um eine antisemitisch motivierte Abwehrhaltung Schenks, sondern um dessen Reflex gegen die Moderne in der Musik. Obgleich er aus Schenks Sicht ein „Halbjude“ war, schien Schreker somit dadurch legitimiert zu sein, weil er sich gegen den Schönberg-Kreis positioniert hatte, dem auch Anton von Webern zuzurechnen war. Als es darum ging, einen Vortragstermin der Dissertation zu vereinbaren, soll Schenk gegenüber Neuwirth unter vier Augen geäußert haben, dass dieser „über einen Juden“ bei ihm „nicht promovieren“ könne. Noch 1967 wies Schenk ein Gesuch eines Studenten, über Gustav Mahler zu dissertieren, mit den Worten ab, dieser sei ja ein „Jud“ gewesen. Eine Klage, die Peter Weiser (1926–2012), der damalige Generalsekretär der Wiener Konzerthausgesellschaft, daraufhin gegen Schenk einreichte, blieb erfolglos, da der abgewiesene Dissertant sich nicht zu einer Zeugenaussage bewegen ließ. Damit verhielt sich Schenk noch in der Zweiten Republik ähnlich wie bereits sein Münchner Lehrer Adolf Sandberger, der dem Musikforscher Alfred Einstein (1880–1952) ebenfalls einen akademischen Abschluss – in dessen Fall die Habilitation – verwehrte, was dieser auf antisemitische Motive zurückführte.

 

Ehrungen durch die Stadt Salzburg

Der Gemeinderat der Stadt Salzburg beschloss in seiner Sitzung vom 6. Mai 1968 einstimmig, Erich Schenk die Große Silberne Medaille der Mozartstadt Salzburg zu verleihen. Ausschlaggebend für diese Ehrung war Schenks Rolle als Initiator der Musikwissenschaftlichen Tagung der Internationalen Stiftung Mozarteum, die im Jahr 1931 erstmals stattgefunden hatte. Bürgermeister Kommerzialrat Alfred Bäck (1903–1974) betonte im Rahmen einer Festsitzung des Salzburger Gemeinderates am 24. Mai 1968 Schenks Rolle als „Musikwissenschaftler und Mozartforscher“, dessen zahlreiche Veröffentlichungen „Salzburgs Ruf als Musikstadt wesentlich“ gefestigt hätten. Sein Mozartbuch habe die Stadt Salzburg „wiederholt als erlesenes Repräsentationsgeschenk an prominente Gäste und Besucher der Mozartstadt“ übergeben. Die Tatsache, dass Schenk als Professor an der Universität Wien umstritten war, erwähnte Bäck in seiner Ansprache – soweit man deren gedruckter Version folgt – nicht einmal andeutungsweise. In seiner Dankesrede formulierte Schenk, dass „große Männer aus Salzburgs Raum“ den unverwechselbaren Geist dieser Stadt geschaffen hätten. Stammestypologische und völkische Denkmuster, wie sie Schenk in der Zwischenkriegszeit vertreten hatte, klangen hierin nach wie vor deutlich an.

Eine maßgebliche Rolle als Initiatorin der posthumen Ehrungen für Schenk hatte dessen Witwe Margaretha: Das Ehrengrab von Erich Schenk, das bis heute am Salzburger Kommunalfriedhof besteht, geht auf eine Widmung aus dem Jahr 1991 zurück. Am 16. Dezember dieses Jahres hatte der Stadtsenat, hierin einer Anregung von Schenks Witwe Margaretha folgend, Schenks Grabstätte zum Ehrengrab erklärt. Dies ist ein ungewöhnlicher Weg, denn üblicherweise wurden Ehrengräber zu jener Zeit unmittelbar nach dem Ableben der zu ehrenden Person gewidmet. Der Magistrat übernahm per 1. Jänner 1992 die Kosten für die laufende Instandhaltung dieses Grabes, für welches Margaretha Schenk die Friedhofsgebühr vorab bis zum Jahr 2018 bezahlt hatte. Außerdem stiftete Margaretha Schenk einen „Erich-Schenk-Preis“ für Nachwuchsmusiker*innen, der 2003 erstmals vergeben wurde. Dieser Preis trägt seit dem Jahr 2012, nachdem Schenks Verhalten im „Dritten Reich“ innerhalb der Musikwissenschaften bereits zunehmend ins Zwielicht geraten war, den Namen „Förderpreis für junge Künstlerinnen und Künstler – Stiftung Margaretha Schenk“.

 

Fazit

Erich Schenk stammte aus dem deutschnational geprägten evangelischen Bürgertum Salzburgs und gehörte der Kriegsjugendgeneration an. Seine akademische Laufbahn als Musikwissenschaftler und Musikhistoriker führte ihn zunächst an die Universität Rostock, ehe er 1939/40 auf die Lehrkanzel für Musikwissenschaft an der Universität Wien berufen wurde, die er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1971 innehatte. Schenk entfaltete vor allem in seiner Wiener Zeit eine institutionell prägende Wirkung, die in der österreichischen Musikwissenschaft bis weit über seinen Tod hinaus anhielt. Erst in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten wurde Schenks umstrittene Rolle im „Dritten Reich“ wissenschaftlich verstärkt aufgearbeitet. Im Zentrum dieser Forschungen stehen seine Nähe zur Weltanschauung des Nationalsozialismus, die sich mit seinem antimodernen Gedankengut wie auch seinen antisemitischen Verhaltensweisen, die in seiner Beteiligung an der Ausgrenzung und Diskriminierung jüdischer Musikstudierender und Musikwissenschaftler zum Ausdruck kamen, nahtlos zur Deckung bringen ließ. Schenk kann als ein sich selbst aktiv mobilisierender Wissenschaftler charakterisiert werden, der die ihm gegebenen Handlungsspielräume in geschickter Weise nützte und in offensichtlich überzeugender Weise seine Rolle als Anhänger und Zuträger des NS-Regimes spielte. Dass nationalsozialistische Wissenschaftler und Wissenschaftspolitiker wie etwa Herbert Gerigk ihn vorbehaltlos ihrem politisch-ideologischen Kreis zurechneten, ist ebenso auffällig wie Schenks erfolgreiche Strategie, als Nichtmitglied der NSDAP nach 1945 neuerlich eine Führungsposition in der akademischen Musikwissenschaft des demokratischen Österreichs zu einzunehmen. Ob Schenk dabei in erster Linie aus opportunistischen Motiven oder aus politischer Überzeugung handelte, lässt sich heute kaum mehr nachvollziehen. Seine Mitverantwortung für die „Arisierung“ der Bibliothek Guido Adlers, des Begründers der Musikwissenschaft an der Universität Wien, wie auch seine Tätigkeit für das „Amt Rosenberg“ während der NS-Zeit lässt diese Frage aber als vergleichsweise weniger relevant erscheinen.

Schenk vermied es, sich seiner Involvierung in den Nationalsozialismus zu stellen. Vielmehr behauptete er, dass er sich im „Dritten Reich“ mit Erfolg für Guido Adler eingesetzt und ihn damit vor Verfolgung bewahrt habe. Bis in die 1960er-Jahre agierte er zudem an verantwortlicher Stelle als Universitätsprofessor antisemitisch und trug wesentlich dazu bei, das wissenschaftliche Erbe der Schule Guido Adlers aus dem akademischen Diskurs zu verdrängen. Wesentlich begünstigt durch einflussreiche Fürsprecher in den Wiener Ministerialstellen, und nicht zuletzt gestützt durch Stadt und Land Salzburg, die ihn als „Musikwissenschaftler und Mozartforscher“ mit Ehrungen auszeichneten, verschwieg er nach dem Zweiten Weltkrieg problematische Aspekte seiner Biographie und deutete diese zu seinen Gunsten um. Hierfür setzte er die ihm als Ordinarius für Musikwissenschaft zur Verfügung stehenden institutionellen und publizistischen Machtmittel ein. Damit trug Schenk maßgeblich selbst dazu bei, dass ein Schatten auf seinem wissenschaftlichen Werk lastet, der bis heute unübersehbar ist.

 

Straßenbenennung

Mehr als zehn Jahre nach dem Tod ihres Mannes wandte sich Margaretha Schenk am 27. Februar 1985 in einem Brief an Bürgermeister Dipl.-Ing. Josef Reschen (SPÖ), in welchem sie diesen sowie den Salzburger Gemeinderat darum bat, eine Straße nach ihrem verstorbenen Ehemann zu benennen. Ihrem Schreiben legte sie eine ausführliche Dokumentation vor, aus welcher die besonderen Verdienste Schenks um die Stadt Salzburg hervorgehen sollten. Margaretha Schenk hob insbesondere hervor, dass ihr Mann der erste gewesen sei, der „Mozarts Salzburger Vorfahren wissenschaftlich untersucht“ habe. Aus dem Curriculum Vitae ihres Mannes, das sie dem Schreiben ebenfalls beilegte, ging u. a. hervor, dass Schenk 1939/40 als ordentlicher Professor an die Universität Wien berufen worden sei. Über seine wissenschaftlichen Aktivitäten während der NS-Zeit verlor sie hingegen kein Wort. Nach 1945 habe sich Schenk vor allem darum bemüht, „das musikwissenschaftliche Publikationswesen in Österreich neu zu organisieren“. In der Liste der „Veröffentlichungen von Erich Schenk, die besonders auf Salzburg Bezug haben“, die Margaretha Schenk ihrem Schreiben ebenfalls beilegte, finden sich zahlreiche Publikationen aus allen Schaffensperioden ihres Mannes. Schenks Veröffentlichung über „Das Ahnenerbe“ in der Familie Mozart aus dem Jahr 1941 ist in dieser Liste indes nicht angeführt.

Das Vermessungsamt der Stadt Salzburg hatte wenige Wochen zuvor, am 25. Jänner 1985, das Salzburger Kulturamt u. a. darauf aufmerksam gemacht, dass die Benennung einer 150 Meter langen privaten Stichstraße zwischen den Objekten Hammerauerstraße 68 und 70 anstehen würde. Im Amtsbericht hielt das Kulturamt fest, dass „der Vorschlag auf Benennung einer Straße nach dem am 11. Oktober 1974 verstorbenen Salzburger Musikwissenschaftler Univ.Prof. Dr. Erich Schenk“ vorläge. „Prof. Schenk wurde vor allem durch seine große Mozart-Biographie bekannt.“ Es regte daher die Benennung dieser kurzen Straße in „Erich-Schenk-Straße“ an. Der Kulturausschuss nahm den Vorschlag in seiner Sitzung vom 13. Juni einstimmig an, ebenso der Stadtsenat am 24. Juni 1985. Der Gemeinderat beschloss am 28. Juni 1985 einstimmig (12 SPÖ, 10 ÖVP, 7 BL, 6 FPÖ) die Benennung der „Erich-Schenk-Straße“ in Leopoldskron-Moos. Eine Anregung seitens einiger von der Namensgebung direkt betroffener Anrainer, die Straße nach dem avantgardistischen österreichischen Literaten und Mitglied der „Wiener Gruppe“ Konrad Bayer (1932–1964) oder alternativ nach dem bedeutenden Philosophen Ludwig Wittgenstein (1889–1951) zu benennen, ging erst am 3. Juli 1985 beim Kulturamt der Stadt Salzburg ein. Sie konnte daher nach Auskunft des Kulturamtsleiters Dr. Alois Haslinger nicht mehr berücksichtigt werden.