Namen der Salzburger Stadtteile
Die meisten größeren Städte sind dadurch entstanden, dass die um die alte historische Stadt liegenden Dörfer bevölkerungsmäßig und ökonomisch immer stärker unter den Einfluss der Stadt gerieten und allmählich mit ihr zusammenwuchsen. Am Ende dieses Wachstumsprozesses steht die Eingemeindung der Dörfer in die Stadt. Sehr schön lässt sich diese Entwicklung am Stadtplan von Wien ablesen. Um den alten Kern (1. Bezirk) liegen zwischen Ringstraße und Gürtel die Vorstadtbezirke (3.–9. Bezirk und jenseits des Donaukanals der 2. Bezirk), jenseits des Gürtels die alten Dörfer, die zum Teil Reste ihres dörflichen Charakters und durchwegs ihre alten Namen bewahrt haben. Die entscheidende Phase der Erweiterung zur Millionenstadt liegt in dem Jahrhundert zwischen ca. 1850 und 1945.
Die Stadterweiterung von Salzburg lässt sich mit der von Wien durchaus vergleichen. Die wesentlichen Impulse erfolgten hier 1860 durch den Anschluss Salzburgs an die Kaiserin-Elisabeth-Westbahn und bald danach durch die Schleifung der Festungswälle vom Mirabell bis zum ehemaligen Linzer Tor. Die alte Stadt lag zwischen Salzach und Mönchsberg vom Klausentor im Norden bis zum Schanzl im Süden sowie rechts der Salzach vom Platzl bis zum Linzer Tor, mit Seitenarmen zum Sauterbogen, später bis zum ehemaligen Mirabelltor und nach Süden bis zum Steintor. Alte Vorstädte sind im Norden das Mühlendorf Mülln, im Süden das Nonntal und im Westen, seit 1766 durch das Neutor mit der Altstadt verbunden, die Riedenburg. Neue Stadtteile entstanden in der Gründerzeit von 1860 bis zum 1. Weltkrieg innerhalb der ehemaligen Befestigungsanlagen zwischen Paris-Lodron- und Gabelsbergerstraße (Andrä-Viertel, benannt nach der 1892–98 gebauten Andrä-Kirche) und weiter ausgreifend in Richtung Schallmoos, nördlich des Bahndammes in Froschheim (seit der Errichtung des Kaiserin-Elisabeth-Denkmals 1901 in Elisabeth-Vorstadt umbenannt) und links der Salzach in Lehen. Eine bedeutende Erweiterung um mehr als das Doppelte erfuhr das Stadtgebiet durch die Eingemeindung der angrenzenden Dörfer. 1935 wurden die bevölkerungsreichen Gemeinden Gnigl-Itzling und Maxglan eingemeindet, 1939 folgten Aigen, Morzg und Liefering.
Die Stadtteilnamen in den Stadtgrenzen bis 1935 (vor den ersten Eingemeindungen) reichen mit wenigen Ausnahmen nicht über das späte Mittelalter zurück. Neben dem Namen Salzburg ‚Salzstadt‘, der bald nach der bairischen Landnahme neben dem alten antiken Namen Iuvavum entstand und diesen seit dem späten 8. Jahrhundert völlig ersetzte, reicht nur der Name Mülln, d. h. ‚Mühlen‘ (ca. 800 Muln, daneben bis ins 12. Jahrhundert die lateinische Bezeichnung Molendina ‚Mühlen‘) bis ins 8. Jahrhundert zurück. Seit dem 12. Jahrhundert sind die Namen Froschheim (1167 Vroskeim) ‚(sumpfiger) Ort mit Fröschen‘ und Riedenburg (1139 Ritinburc, 1141 Rietinpurc) ‚Burg (oder Berg) eines Rieto‘ belegt. Bis weit in die Neuzeit ist Riedenburg allerdings der Name des Rainbergs und nicht der des heutigen Stadtteils zu seinen Füßen. Seit dem 14. Jahrhundert wird das Nonntal genannt (1326 Nvnnetal ‚Talsenke unter dem Kloster Nonnberg‘), im 15. Jahrhundert Lehen (1478 Lehen ‚verliehenes Gut, Bauernhof‘) und Schallmoos (zunächst nur 1429 Mos, 1615 vor dem Linzerthor auf dem Mos ‚Moor, Sumpf‘, seit dem 16. Jahrhundert auch Schalmos). Erst nach 1900 sind die Namen Andrä-Viertel und Elisabeth-Vorstadt entstanden.
Von den der Stadt Salzburg durch die Eingemeindungen zugewachsenen Dörfern sind nicht weniger als sechs schon in den Güterverzeichnissen der Salzburger Kirche von 790/800 genannt. Zwei dieser Namen sind ursprünglich keltische Gewässernamen, die schon in Gebrauch gewesen sein müssen, bevor die Römer das Salzburger Becken in Besitz nahmen. Das Dorf Glas (ca. 800 Clasâ) heißt nach einem Bach, dessen Name aus dem keltischen Wort glas ‚blau, grün‘ gebildet ist, und ebenso wurde der sprachlich verwandte Bachname Glan (ca. 800 Glane, keltisch glan ‚rein, glänzend‘) auf das gleichnamige Dorf übertragen (noch erhalten in Glanhofen, 1251 Glanhoven). Flussnamen werden häufig auch als Ortsnamen verwendet (z. B. Enns, Steyr, Ybbs usw.). Der heutige Name Maxglan hat mit dem Namen der Glan allerdings nichts zu tun,sondern verdankt sein -glan einer gelehrten Volksetymologie des späten 18. Jahrhunderts. Dem Ortsnamen liegt der Name des Kirchenpatrons Maximilian zugrunde (1461 Capella Sancti Maximiliani), der im Dialekt verkürzt (1566 Maxlon) und später als vermeintliche Zusammensetzung aus Max(imilian) und Glan falsch gedeutet wurde (1798 Maxglan). Zwei weitere der frühbezeugten Namen sind eingedeutschte lateinische Namen. Der Name Morzg (ca. 800 Marciago, 930 ad Morzagam, 1139 Morzig, 1497 Mortzk) gehört zu einem Typ ursprünglich keltoromanischer Ortsnamen, der vor allem in Westdeutschland und der Schweiz verbreitet ist. Die Zugehörigkeit eines Landgutes zu einer bestimmten Person (hier Martius)wird durch die Endung -acum ausgedrückt. Ein anderes Beispiel dieses bei uns seltenen Namentyps ist Türk bei Reichenhall. Der zweite romanische Name ist Gnigl (ca. 800 Glanicle, 1271 Gnigel). Er ist bis ins 15. Jahrhundert ausschließlich Gewässername und bezeichnet den gegenüber der Glan in die Salzach einmündenden Alterbach (Gniglerbach) als ‚kleine Glan‘ (lat. Glanicula). Seit 1415 wird der Bachname in Verbindung mit den Mühlen auch auf die Gegend übertragen (die new mül in der Gnygel); das Dorf Gnigl entstand erst im 16. Jahrhundert. Ein jüngerer romanischer Name ist Gneis (1212/1312 Genals, 1334 Gneuls, 1337 Gnäls) aus lat. canalis ‚Kanal‘ für den im 12. Jahrhundert gebauten Almkanal. Der Bachname wurde auch hier auf die Siedlung am Gewässer übertragen. Dem Namen Kasern (1273 Keser, 1424 Chäsar) liegt ein mittellateinisches Wort (casaria ‚Hütte‘) zugrunde, das allerdings schon in althochdeutscher Zeit eingedeutscht wurde (kasari). Kaser ist ein häufiges Wort für Almhütten (z. B. auf dem Untersberg) und meint im Ortsnamen Kasern wohl ‚einfache Hütten‘. Schließlich ist noch der weder romanische noch deutsche Name Parsch (1122 Porras, 1336 Parrs) zu nennen, für den bisher noch keine Erklärung gefunden werden konnte.
Die beiden Namen Itzling (790 Uzilinga, 1190 Uzling, 1631 Ytzling) und Liefering (790 Liueringa, 1147 Liueringin) weisen in die Zeit der bairischen Landnahme und gehören dem ungemein häufigen Ortsnamentyp der -ing-Namen an. Die Endung -ing drückt (wie die keltoromanische Endung -acum) die Zugehörigkeit eines Gutes und seiner Leute zu einem Grundherren aus, hier zu Utzilo und zu dem Romanen Livero. Pointing (1778 Pointinger) bei Himmelreich hat hingegen einen ganz jungen -ing-Namen (Ableitung von Beunde ‚eingefriedetes Grundstück, Weideland‘).
Die wenigen verbleibenden Namen sind durchwegs jünger und auch nicht vor dem 12./13. Jahrhundert bezeugt. Aigen (1212/1312 Aigen) ist ein häufiger Ortsname und bedeutet ‚eigener, von grundherrschaftlicher Bindung freier Besitz‘. Auch das benachbarte Abfalter (1212/1312 Apfoltrach) trägt einen nicht seltenen Namen. Affoltra, apfalter ist das alte Wort für den Apfelbaum; mit der Endung -ach werden Kollektiva gebildet (vgl. Haslach, Erlach, Viechtach usw.). Apfoltrach bedeutet daher ‚Apfelbaumbestand‘. Söllheim (1104–1116 Selheim) gehört zu der großen und alten Gruppe der Ortsnamen auf -heim ‚Heimstatt‘ (vgl. Froschheim, Bergheim, Siezenheim); erster Namensbestandteil ist das etwa gleichbedeutende Wort *seli ‚Haus, Wohnung‘ (vgl. Söll in Tirol, Mittersill, Gumersil bei Seekirchen). Zur Gruppe der heim-Namen gehören auch die vielen auf -ham wie in Salzburg Taxham (1409 Daxach ‚Fichtenreisig‘). Söllheim benachbart liegt Sam (1242 Savme). Der Name hat kaum etwas mit Säumern (Transportwesen) zu tun, was dort keinen Sinn ergibt, sondern es dürfte ein Flurname vorliegen, der den Rand, den ‚Saum‘ zwischen dem ebenen Moos und dem Anstieg zum Hügel bezeichnet. Jenseits des Mooses liegt Langwied (1369 Langwat, 1415–1501 langwid, 1499 Langwat); wenn die alten Belege richtig sind, hat der Name nichts mit wit ‚Holz‘ zu tun, sondern mit der langen wat ‚Furt‘ über den Söllheimer- und Schleiferbach von Gnigl nach Söllheim; wat wurde früh umgedeutet zu wit ‚Holz‘. Es verbleibt schließlich noch der Name von Kleingmain (1596 Gmain) zwischen dem Nonntal und Morzg. Er bezeichnet eine gemeine ‚Gemeinschaftsbesitz, Gemeindeweide‘. Der Zusatz Klein- stammt erst aus dem 19. Jahrhundert und dient zur Unterscheidung von Großgmain, das seinerseits etymologisch mit Kleingmain aber nichts gemein hat.
Im Rückblick fällt der hohe Anteil vordeutscher Ortsnamen in den ehemaligen Dörfern rund um die alte Stadt Salzburg auf. Dieses Bild würde noch schärfer, wenn man auch das weitere Umland, vor allem das Salzburger Becken südlich der Stadt Salzburg in den Blick nähme. Die Namen bezeugen das lange Weiterleben einer romanischen Bevölkerung. Sozialgeschichtlich wichtig ist, dass neben den natürlich den Ton angebenden Baiern auch Romanen wichtige Positionen einnehmen konnten, z. B. als Siedlungsgründer wie in Liefering und in einigen weiteren Flachgauer Gemeinden. Der Bildung nach sind es allerdings deutsche Ortsnamen, die mit romanischen Personennamen gebildet wurden. Auch der Name des Dorfes Wals, 790 Walahowis, bedeutet ‚Dorf der Walchen‘, aber es ist ein deutscher Name. Lediglich Morzg, Gnigl und Gneis sind auch ihrer Bildung nach romanische Namen.
Em. O. Univ.-Prof. Dr. Ingo Reiffenstein
Aus: Salzburger Volkskultur 32/2, November 2012