Besuchsbegleitung: Maßnahmenpaket für mehr Kindeswohl

13.06.2024
Besuchscafé „Mitju“ schafft niedrigschwellige Anlaufstelle für getrennt lebende Eltern und deren minderjährige Kinder
Weil Kinder Familie brauchen!
Marlies Bodinger (Sozialplanung), Stadträtin Andrea Brandner, Patrick Pfeifenberger (Abteilungsvorstand Soziales) und Wolfram Günther (leitender Sozialarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe; v.l.n.r.) präsentieren das neue Besuchscafé Mitju.

Heute Donnerstag, 13. Juni, präsentierte Stadträtin Andrea Brandner das Maßnahmenpaket für mehr Kindeswohl. Mit der Eröffnung des Besuchscafés „Mitju“ wird eine niedrigschwellige Anlaufstelle für getrennt lebende Eltern und deren minderjährige Kinder geschaffen. Jeden 
2. Samstag im Monat öffnet das Café ab sofort als offenes und für Eltern kostenloses Angebot der Kinder- und Jugendhilfe seine Türen. Zusätzlich wird mit der neuen Clearingstelle in der städtischen Kinder- und Jugendhilfe eine zentrale Anlaufstelle für alle Bereiche der Besuchsbegleitung geschaffen.

„Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen.“ Dieser Grundsatz aus dem Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern (Art. 2 Abs. 1 BVG Kinderrechte) bildet eine wesentliche Grundlage für das Handeln der Eltern als auch der Verwaltung zum Schutz des Kindeswohls. Damit soll sichergestellt werden, dass Kinder in einer möglichst stabilen, unterstützenden und liebevollen Umgebung aufwachsen können. Tatsächlich wird dieser Grundsatz jedoch nicht immer eingehalten, insbesondere dann, wenn die Eltern getrennt leben.

Um auch in schwierigen Fällen das Recht jeden Kindes sowie jedes Elternteils auf regelmäßige persönliche Kontakte umzusetzen, gibt es als unterstützendes Angebot für Familien die Besuchsbegleitung. Eine neutrale dritte Person begleitet dabei die Treffen zwischen einem Kind und dem getrennt lebenden Elternteil.

Hohe Belastung für Eltern und deren Kinder

Das derzeitige Angebot der Besuchsbegleitung in Stadt und Land Salzburg kann den aktuellen Bedarf nicht annähernd abdecken. Daraus folgt, dass die zur Sicherung des Kontaktrechts notwendige und teils auch durch das Gericht angeordnete Besuchsbegleitung de facto nicht oder erst nach langer Zeit stattfinden kann. Dies stellt nicht nur eine massive Belastung für die Eltern dar, sondern ist vor allem für die Kinder und deren Rechte ein höchst problematischer Einschnitt. „Unser Ziel ist es, stets das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt zu stellen: Aktuell sehen unsere Expertinnen und Experten der Kinder- und Jugendhilfe einen gravierenden Mangel im Bereich der Besuchsbegleitung, für welche grundsätzlich das Land verantwortlich ist. Daher haben wir uns dazu entschlossen, lösungsorientierte Maßnahmen zur Entschärfung der Situation zu entwickeln und ehestmöglich umzusetzen. In einem ersten Schritt setzt die Stadt Salzburg nun eine zentrale Clearingstelle auf und öffnet ein eigenes Besuchscafé“, erklärt Sozialstadträtin Andrea Brandner.  

Als Unterstützungsleistung bietet die Stadt Salzburg nun mit dem Besuchscafé „Mitju“ ein niedrigschwelliges Angebot an, das insbesondere für die Besuchsbegleitung geeignet ist. Ziel ist es, den Kontakt zum anderen Elternteil (erneut) anzubahnen. Denn „für eine gesunde Entwicklung brauchen Kinder verlässliche Kontakte zu wichtigen Bezugspersonen“, so der leitende Sozialarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe, Wolfram Günther. Die dort anwesende Person mit Coaching-Expertise hilft dabei.

Aktuelle Situation unzureichend

Derzeit gibt es mit Rainbows-Salzburg nur einen Anbieter in Stadt und Land Salzburg, der Besuchsbegleitungen durchführt. Die jährlich etwa 140 betroffenen Kinder stammen knapp zur Hälfte aus der Stadt Salzburg, wobei die Zahlen in den letzten drei Jahren etwas schwanken, insgesamt tendenziell aber steigen. Es ist außerdem von einer Dunkelziffer von Familien auszugehen, die eine Besuchsbegleitung gebraucht hätten, es jedoch nie dazu kam, weil der Zugang nicht niederschwellig genug war. Der Bedarf an Angeboten der Besuchsbegleitung ist dabei unabhängig von der sozialen bzw. sozioökonomischen Lage der Familien. Da Pro Mente Salzburg im September 2023 da Angebot der Besuchsbegleitung eingestellt hat, hat sich die Angebotssituation weiter verschärft. „Das Besuchscafé ist ein wichtiges und niedrigschwelliges Angebot für Familien und leistet daher einen wertvollen Beitrag zur Bedarfsdeckung in der Stadt Salzburg“, hält Marlies Bodinger, zuständig für die Sozialplanung, zusammenfassend fest.

Die Mehrheit der Fälle ist gerichtlich angeordnet, weil es beispielsweise hochstrittige Elternteile, Gewalt(-vorwürfe) oder Verhinderung des Kontaktes zum Kind gibt. In der deutlichen Minderheit sind Elternteile, die sich freiwillig für eine Besuchsbegleitung entscheiden. Auch wenn die Gründe zur Durchführung einer Besuchsbegleitung unterschiedlich sind, so handelt es sich durchwegs um schwierige Situationen, die eines hohen Maßes an Sozialkompetenz, Deeskalationserfahrung und Frustrationstoleranz der Begleiter:innen bedürfen.

Bedarf ist hoch

Mit Ende 2023 befanden sich landesweit 25 Familien bei Rainbows-Salzburg auf der Warteliste für eine Besuchsbegleitung, 12 davon aus der Stadt Salzburg. Die Bedarfsschätzungen der Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Salzburg für begleitete Kontakte beläuft sich jährlich auf etwa 45 Familien. Darüber hinaus gibt es zusätzlich schätzungsweise 80 Familien, die Bedarf an einer Übergabebegleitung haben. Von den etwa 125 Familien benötigen ungefähr 110 Hilfestellung bei der konstruktiven Kommunikation in Bezug auf das gemeinsame Kind (Kommunikations-Coaching).

Die Angebotspalette von Besuchsbegleitung in der Stadt Salzburg umfasst:

  • Begleitete Kontakte: Insbesondere für gerichtlich angeordnete oder beantragte Fälle sowie Fälle durch Empfehlung der Kinder- und Jugendhilfe; ortsunabhängig; 1:1 Begleitung; eine Familie pro Termin, eine Besuchsbegleitung, sowie eine Person, die den Elternteilen ihre – wenn vorhanden - Kommunikationsschwierigkeiten aufzeigt und diese mit ihnen bearbeitet, um zu einer konstruktiven Kommunikation in Bezug auf das gemeinsame Kind zu gelangen (Kommunikations-Coach), ist anwesend; Terminkoordination durch die Clearingstelle
  • Übergabebegleitung: Begleitung nur bei der Übergabe; eine Familie pro Termin; Ort wird durch die Eltern vereinbart (z.B. Park, Besuchscafé „Mitju“), Kommunikations-Coach kann im Bedarfsfall hinzugezogen werden; Terminkoordination durch die Clearingstelle

Schaffung einer Clearingstelle in der städtischen Kinder- und Jugendhilfe

Hinsichtlich der Beauftragung von Trägern für die Durchführung von Angeboten der Besuchsbegleitung ist in erster Linie das Land Salzburg zuständig. Da diese Aufgabe aktuell nicht erfüllt wird, wurde nun bei der Kinder- und Jugendhilfe der Stadt eine Clearingstelle geschaffen. Die Clearingstelle als zentraler Dreh- und Angelpunkt kümmert sich um die Terminkoordination sowie den bedarfsgerechten Verweis der Angebote an die Familien.

Ihre Aufgabe umfasst insbesondere:

  • Zentrale Ansprechperson im Bereich Besuchsbegleitung, insbesondere für gerichtlich angeordnete/ beantragte Fälle (geschätzt etwa 90% der Fälle)
  • Erstgespräche mit Familien, die noch nicht im Hilfesystem der Stadt erfasst sind zur Bedarfsklärung und Problemerörterung (schätzungsweise 10% der Fälle)
  • Falldokumentation
  • Bedarfsorientierter Verweis an Angebote zur Besuchsbegleitung in der Stadt Salzburg
  • Terminkoordination (inklusive Besuchscafé), Koordination der Honorar-Mitarbeiter:innen im Besuchscafé
  • Kontakt und Austausch zum/zur betreuenden Sozialarbeiter:in bei Familien, die bereits Klient:innen in der Kinder- und Jugendhilfe sind

Besuchscafé „Mitju“ bietet niedrigschwelliges Angebot zur Kontaktaufnahme

Das neu geschaffene Besuchscafé „Mitju“ in Elternberatungsstelle Aigen/Parsch soll insbesondere Familien mit Bedarf an Übergabebegleitung dienen. Ziel ist es, Familien die Kontaktanbahnung an einem neutralen Ort und eine zukünftig selbstständige Übergabe zu ermöglichen. Im „Mitju“ werden in kinderfreundlicher Umgebung auch Spielsachen und Bücher für verschiedene Altersgruppen bereitgestellt. Das Besuchscafé ist daher nicht darauf ausgerichtet, Familien über Jahre zu begleiten, sondern setzt nach kurzfristiger professioneller Begleitung auf Hilfe zur Selbsthilfe um eine möglichst große Reichweite zu erzielen. Als Nebeneffekt soll das Besuchscafé außerdem den bereits stark ausgelasteten Träger Rainbows-Salzburg Kapazitäten für die Bearbeitung von komplexen Fällen im Rahmen der begleiteten Kontakte verschaffen.

Im städtischen Besuchscafé sind jeden 2. Samstag von 10 bis 16 Uhr durchgehend zwei Sozialarbeiter:innen vor Ort. Die Erfahrung zeigt, dass die Kommunikation in der Familie oftmals verbessert und Konflikte im Vorfeld vermieden werden können. Daher soll zumindest eine der beiden Personen eine Coaching-Expertise vorweisen können. Die Rolle des Coaches ist es, potenzielle Konfliktsituationen zu erkennen, zu thematisieren und gemeinsam mit dem betroffenen Elternteil daran zu arbeiten, eine konstruktive Kommunikation zum Wohle des Kindes zu erreichen. Die Terminkoordination für das Besuchscafé erfolgt durch die Clearingstelle, wobei bis zu fünf Familien gleichzeitig anwesend sein können. Die Angebote im „Mitju“ können von den Familien kostenlos in Anspruch genommen werden.

Weiterhin dringender Bedarf an Besuchsbegleitung

„Das Besuchscafé der Stadt zeigt eindrucksvoll, wie wir in der Stadt Probleme angehen. Von der Bedarfsanalyse über die Konzeption bis zur Umsetzung in wenigen Monaten ist ein schönes Beispiel dafür, wie man auf soziale Herausforderungen reagieren kann. Mein Dank gilt ausdrücklich der Kinder- und Jugendhilfe in der Stadt und der städtischen Sozialplanung, die dies ermöglicht haben“, zeigt sich Patrick Pfeifenberger, Abteilungsvorstand Soziales, sehr zufrieden mit der schnellen Umsetzung. Die neu geschaffene Clearingstelle sowie das Besuchscafé „Mitju“ können die Schieflage zum Leidwesen der betroffenen Familien zwar nicht beseitigen, aber in der Stadt Salzburg zumindest ein wenig lindern. Dies ändert nichts daran, dass das Land Salzburg weiterhin dringend gefordert ist, Kooperationsvereinbarungen mit Trägern im Bundesland zu schließen. Nur mit einem ausreichenden Angebot kann eine qualitativ hochwertige Besuchsbegleitung schnellstmöglich flächendeckend, und insbesondere für die Träger auch kostendeckend, zur Verfügung gestellt werden. Andernfalls sind Familien und insbesondere Kinder im gesamten Bundesland auch weiterhin die Leidtragenden dieses strukturellen Missstandes.

Tobias Neugebauer