Wachsender Antisemitismus bis zum Nationalsozialismus

Antisemitismus vor und nach dem Ersten Weltkrieg

Die Entwicklung vor dem Ersten Weltkrieg – Deutschnationalismus und "Arierparagraph"

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wurde dem Salzburger Bürgertum ein besonderer Hang zum Deutschnationalismus nachgesagt, zu dessen Wesensmerkmal seit den 1880er Jahren Antisemitismus zählte. Das Judentum wurde immer mehr zu einer Bedrohung stilisiert, "den Juden" wurde aufgrund ihrer vermeintlich "minderwertigen Abstammung" die Zugehörigkeit zum "deutschen Volk" per se abgesprochen. So konnte auch das jüdische Assimilationskonzept, das auf der Übernahme der bürgerlichen Lebensweise und der Pflege deutschen Kultur basierte, kaum mehr glücken.

Von den Universitäten ausgehend setzte sich seit den 1880er Jahren auch die Einführung des so genannten "Arierparagraphen" in sämtlichen bürgerlichen Vereinen durch. In Salzburg führten politisch und gesellschaftlich bedeutende, ehemals liberale Vereine, wie der Deutsche Schulverein, der Salzburger Turnverein, die Liedertafel oder der Deutsche und Österreichische Alpenverein nach und nach diese diskriminierende Maßnahme ein und schlossen damit spätestens nach dem Ersten Weltkrieg die ohnehin nur spärlich vertretenen jüdischen Mitglieder aus. Juden und Jüdinnen war der Zutritt in die bürgerliche Gesellschaft dadurch verwehrt.

Weiterer Anstieg des Antisemitismus nach dem Krieg

Der Erste Weltkrieg und die damit einhergehende politische und wirtschaftliche Unsicherheit hatten eine weitere antisemitische Welle zur Folge. Auch wenn zahlreiche Salzburger Juden in der k. u. k. Armee ihren Dienst versahen und einige an der Front starben, wurden "die Juden" zunehmend als Feiglinge beschimpft und es wurde ihnen die Schuld am Krieg zugeschoben. Im Allgemeinen gilt dieser somit auch als Zäsur in der jüdischen Geschichte – das Ende der Monarchie erlebte die jüdische Minderheit weitgehend als Katastrophe:
die jüdische Emanzipation, die sich vor allem unter Kaiser Franz Joseph zu entfalten begann, endete in Österreich spätestens zu diesem Zeitpunkt.

Hunger, Arbeitslosigkeit und die massive Geldentwertung ließen am Beginn der Ersten Republik unter anderem auch antisemitische Ressentiments in ganz Österreich weiter erstarken. In der Stadt Salzburg fand am 19. September 1918 eine von den Sozialdemokraten organisierte Hungerdemonstration statt. Dem starken Polizeiaufgebot zum Trotz eskalierte die Demonstration am Mozartplatz nach kurzer Zeit. Ein Teil der Aufständischen begann mit der Plünderung von Hotels, Gasthöfen und Geschäften, darunter auch das jüdische Kaufhaus Schwarz. Inwiefern hierbei Antisemitismus oder die allgemeine Eskalation die tragende Rolle gespielt haben, ist letztlich nicht eindeutig zu sagen.

Dass die jüdische Gemeinde nur rund 300 Mitglieder zählte, relativ isoliert von der Mehrheitsgesellschaft lebte und ihr Einfluss auf die politische und wirtschaftliche Situation äußerst gering war, spielte in dieser Zeit der Armut und Not keine Rolle. Im Elend der ersten Jahre nach dem Krieg dienten "die Juden" weiten Teilen der Bevölkerung als Sündenböcke, die für alle negativen Entwicklungen verantwortlich gemacht wurden. (Gleichzeitig waren jüdische SalzburgerInnen ebenso vom Nachkriegselend betroffen.) Die katholische Zeitung Salzburger Volksbote forderte bereits kurz nach dem Zusammenbruch der Monarchie seine Leserschaft auf:
"Christliches Volk: Erkenne die Gefahr! Jag‘ die Juden fort und ihre Helfershelfer." Oft waren damit auch Vorurteile gegen Wien als dem Zentrum der neu gegründeten Republik und der nunmehrigen Bundeshauptstadt verbunden, von der viele dachten, sie würde von "mächtigen und einflussreichen Juden" gelenkt.

Schuhgeschäft von Leiser Gerstenfeld in der Ignaz Harrer Straße

Jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa

Überdies richtete sich der Nachkriegsantisemitismus in ganz Österreich gegen jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa, die bereits mit Kriegsbeginn vor der herannahenden Front geflüchtet waren. Viele entstammten religiösen, oft sehr armen Gemeinden in Galizien. In Salzburg waren einige vonihnen in Barackenlagern vonNiederalm und Grödig untergebracht. Zwar ließ ihnen die jüdische Gemeinde in Salzburg Unterstützung zukommen, doch distanzierten sich viele (assimilierte) Salzburger Juden und Jüdinnen vonden vielfach traditionell lebenden und somit auffallenden Juden aus Osteuropa. Sie waren beschämt von deren "Schtetl-Mentalität" (Bezeichnung für Siedlungen mit hohem jüdischen Bevölkerungsanteil in Osteuropa), ihrer Kleidung und vonihrer jiddischen Sprache. Dahinter verbarg sich auch die Angst, dass der gegen Flüchtlinge und streng orthodoxe Juden gerichtete Antisemitismus letztendlich wiederum sie selbst treffen könnte. Zum Ausdruck kam dies etwa auch in der abwertenden Bezeichnung "Pollacken" für die osteuropäischen jüdischen ZuwanderInnen. Dieser Konflikt zwischen ansässigen Assimilierten und Zugewanderten war jedoch keine Salzburger Besonderheit und konnte auch in Wien, New York oder Tel Aviv beobachtet werden.

Bertha Reichenthals Eltern gehörten zu den Flüchtlingen, die es aus einem kleinen Schtetl in Galizien zufällig nach Salzburg verschlagen hat. Bertha selbst wurde 1920 bereits in Salzburg geboren. Nachdem der Vater noch in den 1920er Jahren starb, musste die sehr religiöse Mutter alleine sechs Kinder durchbringen. Von den wohlhabenderen "Salzburger Juden" kam ihr zwar immer wieder Hilfe zu, Kontakte gab es außer in der Synagoge allerdings keine. Einem Teil der Familie gelang 1938 die Flucht nach Palästina, ein Bruder wurde von den Nationalsozialisten ermordet. Bertha Reichenthal überlebte in London und zog später nach Tel Aviv. Noch im hohen Alter fühlte sie sich Salzburg verbunden und konnte sämtliche Strophen der Salzburger Landeshymne singen. 2021 starb sie mit über 100 Jahren in Tel Aviv.

Antisemitismus vor 1938

Der eiserne Besen vom 17. August 1928

Der Eiserne Besen

1919 wurde in Wien der Deutsch-Österreichische Schutzverein Antisemitenbund gegründet, zwei Jahre später bereits eine Zweigstelle in Salzburg, die sofort 446 Mitglieder zählte. Diese vereinte Antisemiten aus unterschiedlichen politischen Lagern – dem deutschnationalen, dem nationalsozialistischen und dem katholisch christlich-sozialen Milieu. Bald nahmen jedoch die Nationalsozialisten alle Führungspositionen ein und waren auch die treibende Kraft bei der Organisation und Herausgabe des antisemitischen Hetzblattes Der Eiserne Besen.

Zunächst in Wien herausgegeben, wurde es von 1923 bis 1932 in Salzburg publiziert. In Ton und Inhalt war Der Eiserne Besen durchaus mit der berüchtigten nationalsozialistischen Zeitung Der Stürmer vergleichbar. Juden wurden darin als "Ungeziefer", das "ausgemistet" und "vernichtet" werden solle, beschimpft, ein "Judenkataster" listete jüdische Geschäfte, die boykottiert werden sollten, auf.  Zudem waren Salzburger Juden und Jüdinnen wiederholt persönlichen Angriffen des Blattes ausgesetzt:
Einer unter ihnen war Rudolf Löwy, nach dem Ersten Weltkrieg Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, der in Salzburg bis zu seinem Tod 1935 eine Kohlenhandlung betrieb. Um die Mitte der 1920er Jahre ging das Geschäft derartig gut, dass Löwy in Artikeln des Eisernen Besen abwertend als "Kohlenbaron" von Salzburg bezeichnet wurde. Auch beschuldigte man ihn des Versuchs, das dortige Kohlengeschäft zu monopolisieren. Zugleich schalteten nichtjüdische Konkurrenten Inserate im Eisernen Besen, womit sie die Zeitung finanziell unterstützten.

Erste Störungsaktionen von Nationalsozialisten

Im Oktober 1923 war für die Präsidentin des Israelitischen Frauenvereins in Salzburg, Sarah Bonyhadi eine große Geburtstagsfeier im Kurhaus geplant, die jedoch von der Kurhausdirektion mit der Begründung abgesagt wurde, dass im Eisernen Besen Übergriffe angekündigt worden wären. Die Geburtstagsfeier konnte ins HotelBristol verlegt werden, da die sozialdemokratische Arbeiterwehr angeboten hatte, für die Sicherheit der Gäste zu sorgen. Das vom Israelitischen Frauenverein ausgerichtete Fest, an dem mehr als hundert Gäste teilnahmen, war ein großer Erfolg. Gleichzeitig wurde es jedoch von einem antisemitischen Vorfall überschattet:
Vor dem Hotel marschierten zwei Gruppen mit ca. 40 Nationalsozialisten auf und brüllten "Salzburger erwacht!" sowie andere nationalsozialistische Parolen. Eine Gruppe versuchte ins Hotel einzudringen, um das Fest zu stören, was von der bereitgestellten Sicherheitswache aber verhindert werden konnte.

"Sommerfrische-Antisemitismus" und Festspiele

Viele Orte des Salzburger Landes waren seit dem 19. Jahrhundert beliebte Sommerfrischen. Mit der Gründung der Salzburger Festspiele 1920 stieg die touristische Attraktivität weiter, konnte man so Natur und Kultur doch auf ideale Weise verbinden.

Wie in anderen österreichischen Tourismusregionen ließ sich nach dem Ersten Weltkrieg in Salzburg zugleich eine neue Art des Antisemitismus, der "Sommerfrische-Antisemitismus" beobachten. Die schlechte wirtschaftliche Situation führte zu einer allgemeinen Ablehnung des "Fremden", die sich insbesondere gegen jüdische Sommergäste richtete. Diese wurden beschimpft, sich in Restaurants "auszubreiten" und den hungernden SalzburgerInnen alles wegzuessen. Bereits Anfang der 1920er Jahre erklärten sich in Salzburg die ersten Sommerfrische-Orte, wie Mattsee, Oberndorf, St. Johann/Pg., Seeham oder Neumarkt am Wallersee, als "judenrein".

Auch der von einer breiten Bevölkerungsschicht getragene Protest gegen die "mitten in den Nachkriegshunger hinein" erfolgte Gründung der Salzburger Festspiele war nicht frei von antisemitischen Ressentiments. Die Festspiele galten als "verjudet", und viele stießen sich an jüdischen und mitunter vermeintlich jüdischen KünstlerInnen, wie Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal, Alexander Moissi und Helene Thimig. Anstoß nahm man in Salzburg auch an jüdischen Festspielgästen, vor allem an jenen, die daran Gefallen fanden, Dirndlkleider und Lederhosen zu tragen.

Reaktionen der jüdischen Bevölkerung

Der umfassende Antisemitismus in Salzburg nach 1918 führte zu einer weitgehenden gesellschaftlichen Isolation der jüdischen Bevölkerung. Die Kontakte zu nichtjüdischen SalzburgerInnen beschränkten sich auf die Berufswelt, MitschülerInnen und gegebenenfalls auf  Hausangestellte. Man unterhielt sich mitunter im Café über Dinge des alltäglichen Lebens oder führte belanglose Gespräche auf der Straße, doch ergaben sich daraus nur selten engere Freundschaften. Bereits in der Schule waren dem Miteinander von jüdischen und nichtjüdischen Kindern deutliche Grenzen gesetzt. Antisemitismus und damit einhergehende Beschimpfungen wie "Saujud" oder Schläge seitens der MitschülerInnen und Lehrpersonen gehörten für jüdische SchülerInnen zum Alltag.

Salzburger Juden und Jüdinnen heirateten so auch vielfach untereinander oder suchten ihre HeiratspartnerInnen auswärts. Der von der Familie aber auch von der feindlich gesinnten nichtjüdischen Umwelt auferlegte Druck, sich auf jüdische Ehepartnerlnnen zu beschränken, wurde seitens der Kinder manchmal als große Belastung empfunden.

Einige Salzburger Juden und Jüdinnen sahen angesichts der vielen Anfeindungen ihre Zukunft nicht mehr in Österreich, sondern in Palästina und verschrieben sich dem Zionismus. So wurde 1926 eine Zionistische Ortsgruppe Salzburg ins Leben gerufen, die ab 1930 von Walter Schwarz geleitet wurde.

Literaturempfehlung
  • Daniela Ellmauer / Helga Embacher / Albert Lichtblau (Hg.) Geduldet, Geschmäht und Vertrieben. Salzburger Juden erzählen, Salzburg / Wien 1998.
  • Helga Embacher, Die Salzburger jüdische Gemeinde von ihrer Neugründung im Liberalismus bis zur Gegenwart, in: Dies. (Hg.), Juden in Salzburg. History, Cultures, Fates, Salzburg 2002, 38-66.
  • Johannes Hofinger, Nationalsozialismus in Salzburg: Opfer. Täter. Gegner, Innsbruck 2016.
  • Stan Nadel, Ein Führer durch das jüdische Salzburg, Salzburg 2005.