Die jüdische Gemeinde Salzburgs von 1867 bis 1938
Wiederansiedelung jüdischer Gemeinden in Salzburg ab 1867
Auf dem Wiener Kongress 1815 wurde Salzburg (mit Ausnahme des Rupertiwinkels) Österreich zugesprochen. Damit war das frühere Erzbistum nun auch Gesetzen unterworfen, die in Wien beschlossen wurden. Nach der Bürgerlichen Revolution 1848 kam es zu einer Blüte des österreichischen Liberalismus. Dieser hatte große Auswirkungen auf österreichische Juden und Jüdinnen, da sie mit dem Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 zu gleichberechtigten Bürgern und Bürgerinnen wurden. Ein eigenes Gesetz hob zudem alle konfessionell begründeten Aufenthaltsverbote auf. Nach knapp 370 Jahren war es Juden wieder erlaubt, sich in Salzburg anzusiedeln.
Albert Pollak (1833-1921): Grundsteinlegung für eine neue jüdische Gemeinde
Albert Pollak war der erste Jude, der sich 1867 in Salzburg offiziell niederlassen durfte. Er wuchs im damals ungarischen Mattersdorf (heute Mattersburg im Burgenland) in armen Verhältnissen auf. Seinen Militärdienst absolvierte er bereits in Salzburg beim „k. k. Infanterie Regiment Erzherzog Rainer“. Albert Pollaks Ansuchen auf Niederlassung fiel genau in die kurze Phase der hochliberalen Ära, in der die liberal-bürgerliche Stadtelite auf einen starken Wirtschaftsaufschwung hoffte und daher religiöser Gleichberechtigung gegenüber offen war. Die überwiegend ländliche katholisch-konservative Bevölkerung hingegen blieb weiterhin in einem christlichen-antisemitischen und modernisierungsfeindlichen Denken verhaftet.
Albert Pollak folgten bald weitere Verwandte und Bekannte aus dem westungarischen Grenzraum. Später zogen auch Juden und Jüdinnen aus der böhmisch-mährischen Grenzregion zu. Sie suchten nach neuen Niederlassungsmöglichkeiten, da durch den Eisenbahnbau ihre Bedeutung im Transithandel verlorenging. Beruflich war die Gründungsgeneration vorwiegend im Kleingewerbe tätig (Antiquitäten- und Altwarenhändler, Schneider und kleine Kaufleute für Textilien).
Albert Pollak wurde „k.u.k. Hofantiquar“, arbeitete sich zu Wohlstand und Ansehen hoch und erhielt 1873 als erster Jude das Bürgerrecht durch den Salzburger Gemeinderat. Damit zählte er nun zum Kreis der Privilegierten der Stadtgesellschaft Salzburgs. Er war Gründungs, Vorstands- und Ehrenmitglied des liberal-bürgerlichen „F.-M. Graf Radetzky Militär-Veteranen- und Krieger-Vereins“ sowie Mitglied des Salzburger „Liberalen Vereins“. Aus seiner Ehe mit der Wiener Neustädterin Karoline Brauer oder Bräuer gingen acht Kinder hervor. Die Familie führte ein gutbürgerliches Leben mit Dienstboten, Kindermädchen und französischen Gouvernanten. In seinem äußeren Erscheinungsbild und im Berufsleben hatte sich Albert Pollak, der in Salzburg hohes Ansehen genoss, an die nicht-jüdische Gesellschaft angepasst, zu Hause wurde jedoch ein koscherer Haushalt geführt.
Deutschnationalismus und Antisemitismus verdrängen den Liberalismus
Der Liberalismus war in Österreich allerdings nur von kurzer Dauer. 1873 kam es zu einer langen Wirtschaftskrise und zu einer Schwächung des Liberalismus. Nach und nach wurde dieser vom Deutschnationalismus verdrängt, der wie in Linz, Graz oder Innsbruck auch in Salzburg auf fruchtbaren Boden fiel. Das liberale Ideal der bürgerlichen Einheit war in Salzburg bereits zerfallen und das Bürgertum differenzierte sich zunehmend aus. Der moderne politische Antisemitismus fungierte als ideelle Klammer im nicht-jüdischen Bürgertum.
Mit Antisemitismus und Deutschnationalismus grenzte man sich zudem vom religiös und sprachlich vielfältigen Wien ab. Befeuert wurde dieser Antisemitismus durch den niederösterreichischen Reichratsabgeordneten Georg Ritter von Schönerer, der Judenfeindschaft „rassisch“ begründete. Seine Ideen erreichten nicht nur das kleinbürgerliche städtische Milieu Salzburgs, sondern auch das großbäuerliche Umfeld. Georg Ritter von Schönerer wurde auch zu einem zentralen Vorbild Adolf Hitlers. In seinem Buch „Mein Kampf“ widmete er ihm und dem christlich-sozialen Wiener Bürgermeister Karl Lueger, Vorreiter des politischen Antisemitismus, sogar ein eigenes Kapitel.
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts konnte man in einer Salzburger Zeitung – dem von der Schönerianer-Bewegung herausgegebenen Kyffhäuser – den Aufruf finden, Juden von einer Religionsgemeinschaft zu einer „Rasse“ umzuwerten und sie aus der „arischen Gesellschaft“ auszugrenzen. Die Verdrängung liberaler Ideen und die Erstarkung des Deutschnationalismus und Antisemitismus spiegelten sich auch im Salzburger Vereinswesen wider. Seit den späten 1880er Jahren wurden Juden aus Vereinen – und damit aus Organisationen des gesellschaftlichen Miteinanders – ausgeschlossen. Dazu zählten bedeutsame bürgerliche Vereine wie der Salzburger Turnverein, der Deutsche und Österreichische Alpenverein, die Salzburger Liedertafel oder der VereinSüdmark. Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg waren die deutschnationalen Vereine des Salzburger Bürgertums „judenrein“ und der jüdischen Bevölkerung somit der Zutritt in die bürgerliche Gesellschaft verwehrt. Nur in wenigen Vereinen der Oberschicht, die der wirtschaftlichen und kulturellen Öffnung des Landes dienten, blieben Juden hochgeschätzte Mitglieder.
Demographische Entwicklung der jüdischen Bevölkerung in Salzburg bis 1910
Im Jahr 1881 zählte Salzburg 14 jüdische Familien. Um die Jahrhundertwende ließen sich erste galizische Juden und Jüdinnen nieder. Die Volkszählung 1890 ergab bereits 199 „Israeliten“. Zehn Jahre später zählte die jüdische Gemeinde 285 Mitglieder. Der prozentuale Anteil von Juden und Jüdinnen an der Gesamtbevölkerung Salzburg blieb aber immer unter 0,1 Prozent. Es handelte sich folglich zu jedem Zeitpunkt um eine sehr kleine Minderheit.
- Eveline Brugger / Martha Keil / Albert Lichtblau / Christoph Lind / Barbara Staudinger, Geschichte der Juden in Österreich, Wien 2006.
- Daniela Ellmauer / Helga Embacher / Albert Lichtblau (Hg.) Geduldet, Geschmäht und Vertrieben. Salzburger Juden erzählen, Salzburg / Wien 1998.
- Helga Embacher, Die Salzburger jüdische Gemeinde von ihrer Neugründung im Liberalismus bis zur Gegenwart, in: Dies. (Hg.), Juden in Salzburg. History, Cultures, Fates, Salzburg 2002, 38-66.
- Hanns Haas / Monika Koller, Jüdisches Gemeinschaftsleben in Salzburg. Von der Neuansiedelung bis zum Ersten Weltkrieg, in: Marko M. Feingold (Hg.), Ein ewiges Dennoch. 125 Jahre Juden in Salzburg, Wien / Köln / Weimar 1993, 31-52.