Erinnerungen an Kindheit und Jugend in Wien
Als Marko Feingold auf der „Mazzesinsel“ in Wien heranwuchs, tobte der Erste Weltkrieg. Der Alltag war geprägt von Lebensmittelknappheit und Unterernährung; die Zwischenkriegszeit brachte zusätzlich eine Hyperinflation mit sich. Auch die Feingold-Familie war diesen schwierigen Bedingungen ausgesetzt und konnte sich anfangs nur die Miete für eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung leisten. Durch berufliche Erfolge des Vaters verbesserte sich allmählich die Lebenssituation der Familie und es erfolgte ein sozialer Aufstieg.
Schule und Freizeit
Marko Feingold verbrachte seine Freizeit gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen aus der Nachbarschaft. Sie trieben ihre Späße in Parks, auf der Gasse und später im Prater, der in seiner Erinnerung einen besonderen Stellenwert einnahm. Der Bub besuchte auch regelmäßig einen Hort der Roten Falken. Sein Freundeskreis war heterogen und umfasste jüdische und nicht-jüdische Kinder.
Marko Feingold erinnerte sich, bereits in jungen Jahren mit antisemitischem Verhalten konfrontiert worden zu sein. In Interviews betonte er die Rolle des Volksschuldirektors, der absichtlich jüdische Schüler angerempelt und nicht-jüdische Schüler bevorzugt behandelt hätte. Auch als Marko Feingold nach der Volksschule auf die Realschule wechselte, nahm er einzelne Lehrer als antisemitisch wahr. Er beschrieb sich selbst als schlechten, unmotivierten Schüler, der häufig dem Unterricht fernblieb. Weitaus angenehmere Erinnerungen hatte er an seine regelmäßigen Besuche im Prater. Dort fühlte er sich wohl und studierte das Verhalten von Menschen aus den unterschiedlichsten Milieus – darunter "Praterstrizzis" und Sexarbeiterinnen – mit großem Interesse. Diese Erfahrungen sollten ihm im späteren Leben zugutekommen.
Lehrjahre, Arbeitslosigkeit und Beginn als Vertreter
Nach Abschluss seiner Schullaufbahn war Marko Feingold kurz Lehrling bei der Firma Gutmann, Saudeck und Co., ein Großhandel für Schneiderzubehör. Dann kam er durch Zufall zur Firma Bermann & Co., die auf Pelzgroßhandel spezialisiert war. Er wurde nach der Lehrzeit übernommen und arbeitete dort weitere drei Jahre als Angestellter. Als die Firma 1932 in finanzielle Schwierigkeiten geriet, wurde er entlassen. Zu dieser Zeit war die Arbeitslosigkeit mit über 15 Prozent enorm und stieg in den folgenden Jahren rasant an.
Der mittlerweile 19-Jährige wurde arbeitslos und fand schließlich eine Anstellung als „Chaper“ für die Firma Neumann, die Damenkonfektion verkaufte. In dieser Rolle war er dafür zuständig, Passant*innen in das Geschäft zu locken. Diese Tätigkeit war allerdings verboten und führte dazu, dass Marko Feingold – nicht aber der Firmeninhaber – vorbestraft wurde. Schließlich kam er in jener Firma unter, in der auch sein Vater und seine beiden Brüder als Vertreter arbeiteten. Fortan verkaufte er für die Firma Cuprum erfolgreich Flüssigseife.
Tanz und Mode
Marko Feingold war fasziniert von Tanz und Mode und traf damit den Nerv der Zeit im „Roten Wien“: die 1920er und beginnenden 1930er Jahre zeichneten sich durch einen gesellschaftlichen und künstlerischen Aufbruch aus, Kinos und Spielfilme gewannen an Bedeutung, eine große Begeisterung für Tanz und modische Kleidung machte sich breit. Marko Feingold wurde erstmals durch amerikanische Filme auf Mode aufmerksam. Damit wurde eine Leidenschaft begründet, die ihn bis ins hohe Alter begleiten sollte.
Schon in jungen Jahren besuchte er eine Tanzschule, ab dem 18. Lebensjahr regelmäßig das Grabentanzcafé. Dort trafen Menschen der unterschiedlichsten Milieus zum abendlichen Tanz zusammen, darunter auch Personen gesellschaftlicher Randgruppen, für die Marko Feingold sich sehr offen zeigte. Er war fasziniert von dieser Welt, in der religiöse Zugehörigkeiten keine Rolle spielten. Zeitlich parallel gingen auch in seiner Familie jüdische Traditionen allmählich verloren.
- Ruth Beckermann (Hg.), Die Mazzesinsel – Juden in der Wiener Leopoldstadt 1918–1938, Wien 1984.
- Steven Beller, Wien und die Juden 1867–1938, Wien u.a. 1989.
- Marko M. Feingold, Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh. Eine Überlebensgeschichte, hg. von Birgit Kirchmayr / Albert Lichtblau, Wien 2000 (2. Auflage Salzburg / Wien 2012).
- Frank Stern (Hg.), Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938. Akkulturation – Antisemitismus – Zionismus, Wien u. a. 2009.