Handelsreisen durch Italien und ihr abruptes Ende

Marko Feingold und Bruder Ernst in San Remo, Italien 1930er Jahre

Zur Zeit der grassierenden Wirtschaftskrise und höchsten Arbeitslosenrate der Ersten Republik verlor auch Marko Feingold seine Anstellung. Daher beschlossen er und sein Bruder Ernst im Jahr 1933, ihr Glück als Vertreter in Italien zu versuchen. Im selben Jahr wurde Adolf Hitler in Deutschland zum Reichskanzler ernannt, die Erste Republik Österreichs verwandelte sich Schritt für Schritt in eine austrofaschistische Diktatur und Benito Mussolini, der Duce del Fascismo in Italien, war am Höhepunkt seiner Macht. Mussolini sicherte dem austrofaschistischen Österreich nach der Niederschlagung des Arbeiteraufstandes im Februar 1934 (siehe Link) nicht nur eine Schutzfunktion zu, sondern finanzierte auch die paramilitärische Heimwehr.

Versuch, in Italien Fuß zu fassen

Die beiden Brüder suchten zuerst in Istrien und Südtirol nach Arbeit, da hier der Anteil der deutschsprachigen Bevölkerung vergleichsweise hoch war. (Beide Gebiete gehörten zu Österreich-Ungarn und wurden im Vertrag von Saint-Germain-en-Laye 1919 Italien zugesprochen.) Allerdings gestaltete sich der Verkauf auf Deutsch bereits schwierig, zielte doch Mussolinis Italienisierung darauf ab, alle nicht-italienischen Sprachen zu verdrängen.

Schließlich fanden die damals 20- und 22-jährigen Brüder eine Anstellung bei Grünthal, einem in Triest wohnhaften Berliner, der Seife und Bohnerwachs vertrieb. Er verhalf ihnen außerdem mithilfe des „Altösterreichers“ (= in der Monarchie geborenen) Löwenherz zu einem ständigen Aufenthaltsrecht in Italien. Löwenherz betrieb in Triest das Café Miramar und unterhielt sehr gute politische Verbindungen zum italienischen Regime. Marko Feingold beschrieb ihn als „Shabbadofaschisten“, da er sich am Shabbat mit schwarzem Hemd und schwarzer Hose – die Uniform der faschistischen Partei Italiens– bekleidete.

Löwenherz war keineswegs der einzige italienische Jude, der profaschistisch eingestellt war. Der Großteil der italienischen Juden und Jüdinnen verhielt sich patriotisch und loyal gegenüber dem faschistischen System; italienische Juden waren in der faschistischen Partei überproportional vertreten. Dies hing auch damit zusammen, dass bis 1938 der Antisemitismus im italienischen Faschismus eine untergeordnete Rolle spielte. Gleichzeitig engagierten sich aber auch zahlreiche Juden und Jüdinnen – darunter der Holocaustüberlebende Primo Levi – im antifaschistischen Widerstand.

Eine unbeschwerte Zeit

Marko und Ernst Feingold spezialisierten sich auf den Verkauf von Bohnerwachs, da sich damit vergleichsweise große Mengen – und damit hohe Provisionssummen – umsetzen ließen. Ihre Kunden waren vorwiegend Hotelinhaber. Unter den zahlreichen Vertretern gab es allerdings große Konkurrenz, weshalb es der einen oder anderen List bedurfte, die Erzeugnisse mit Erfolg zu verkaufen. Das Brüderpaar konnte sich an die gegebenen Umstände gut anpassen und so begann für beide eine erfolgreiche, sorglose und unbeschwerte Zeit. Zugute kam ihnen auch, dass Produkte wie Seife oder Blech (Bohnerwachs wurde in Blechkannen geliefert) aufgrund der Wirtschaftskrise Mangelware waren. Mit ihren Verkaufsprodukten stießen sie somit auf eine gewisse Nachfrage.

Die beiden Vertreter tourten durch ganz Italien – von Triest über Venedig nach Mailand, entlang der italienischen Riviera, nach Rom, Neapel bis nach Sizilien. Auch ihre Italienischkenntnisse verbesserten sich rasch. Dank hoher Verkaufszahlen konnten sie auf großem Fuß leben, zogen auf ihren Handelsreisen von Hotel zu Hotel, gingen häufig aus und vergnügten sich. Marko Feingold konnte seine Liebe zu eleganter, modischer Kleidung vollends ausleben und hatte Schwierigkeiten, seine stets wachsende Garderobe zu transportieren.

Antisemitismus war während der fünf Jahre, die die beiden in Italien verbrachten, kein Thema. Marko Feingold konnte sich an keinen antisemitischen Vorfall erinnern. Eine Ausnahme bildete der Polizeidirektor von Triest, der sich kurz nach deren Ankunft in Italien erfolglos um ihre Ausweisung bemühte.

Marko Feingolds Haltung zum italienischen Faschismus war widersprüchlich. Von einzelnen Neuerungen zeigte er sich durchaus beeindruckt – besonders von den adretten Uniformen, den günstigen Bahntickets und der Ordnung und Regulierung, die ihm auf vielen Ebenen begegnete. In Interviews betonte er aber, dass ihm die Idee des Faschismus nicht per se imponiert habe und er den Abessinienkrieg (1935–1936) abgelehnt habe.

Ein abruptes Ende

Das sorglose Leben der Brüder Feingold fand ein unerwartetes Ende, als sie im Februar 1938 nach Wien fuhren, um ihre Reisepässe zu verlängern. Damit ließen sie sich zu lange Zeit – bis es zu spät war: Kurz nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten und dem „Anschluss“ am 12. März 1938 riegelten sämtliche Nachbarländer Österreichs die Grenzen ab. Die beiden Brüder konnten nicht mehr nach Italien zurück und saßen in Wien fest. Wenig später wurden in Italien „Rassegesetze“ eingeführt, Juden und Jüdinnen zur Emigration gezwungen und erste Internierungslager errichtet.

Literaturempfehlung:
  • Marko M. Feingold, Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh. Eine Überlebensgeschichte, hg. von Birgit Kirchmayr / Albert Lichtblau, Wien 2000 (2. Auflage Salzburg / Wien 2012).
  • Primo Levi, Ist das ein Mensch?, Wien / München 1991.
  • Silvano Longhi, Die Juden und der Widerstand gegen den Faschismus in Italien (1943–1945),
    Berlin / Münster 2010.
  • Carlo Moos, Ausgrenzung, Internierung, Deportation. Antisemitismus und Gewalt im späten italienischen Faschismus (1938–1945), Zürich 2004. 
  • Thomas Schlemmer und Hans Woller, Der italienische Faschismus und die Juden 1922 bis 1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 53 (2005) 2, 165–201.