Internierung im Konzentrationslager Auschwitz
Überstellung
Am 5. April 1941 wurde das Krakauer Militärgefängnis, in dem Marko und Ernst Feingold inhaftiert waren, fast zur Gänze geleert. Die Häftlinge – darunter auch die beiden Brüder – wurden in Lastautos verladen und zum Frachtenbahnhof in Krakau gebracht. SS-Leute drängten sie in Waggons, bis diese übervoll waren. Nach einer Stunde Fahrt trieb die SS die Häftlinge unter viel Geschrei und Schüssen aus den Waggons. Marko und Ernst Feingold waren in Auschwitz angekommen. Ernst Feingold bekam von einem SS-Offizier gleich nach der Ankunft einen heftigen Tritt in den Bauch. Dann mussten sie ins Lager marschieren.
Marko und Ernst Feingold wurden im Stammlager, dem KZ Auschwitz I, interniert. Nur drei Kilometer davon entfernt wurde im Oktober 1941 das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, auch KZ Auschwitz II genannt, errichtet. Zum Lagerkomplex gehörten außerdem das KZ Monowitz Auschwitz III und über 40 zusätzliche Außenlager.
Die ersten Häftlinge in Auschwitz waren Kriminelle (= grüner Winkel) aus dem KZ Sachsenhausen, die dann auch als Funktionshäftlinge eingesetzt wurden. Als Lager- und Blockälteste und Kapos bei den Arbeitskommandos waren sie zuständig für die Ausführung der Befehle der SS, wofür sie gewisse Vergünstigungen erhielten. Viele quälten ihre Mithäftlinge, manche verhielten sich anständig. 1943 wurden die Kriminellen von den politisch Verfolgten entmachtet.
Insgesamt wurden in dem Lagerkomplex mindestens 1,1 Millionen Menschen ermordet. Davon galten 90 Prozent laut den „Nürnberger Gesetzen“ als jüdisch. Auch nichtjüdische Polen und Polinnen, sowjetische Kriegsgefangene sowie Roma und Sinti wurden hier getötet. Zum Zeitpunkt der Inhaftierung der Feingold-Brüder war SS-Obersturmbannführer Rudolf Höß Kommandant des Lagers (von Mai 1940 bis November 1943). Er wurde 1947 als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt und hingerichtet. Heute steht Auschwitz als größtes Konzentrations- und Vernichtungslager symbolisch für die Shoah und Völkermord. Die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau ist Zentrum für das weltweite Holocaustgedenken.
Ankunft
Marko Feingold erinnerte sich, dass volksdeutsche Häftlinge nach Ankunft im Lager seine Daten aufnahmen und ihm gewaltsam seine Wertgegenstände entwendeten. Dann folgte eine Prozedur, die er als schrecklich, tief demütigend und entmenschlichend beschrieb: das Abrasieren der Kopf- und aller weiteren Körperhaare. Er erlebte, wie dadurch das Gefühl ein Mensch zu sein verlorenging und durch eines von Wert- und Nutzlosigkeit ersetzt wurde.
Im Anschluss mussten die Häftlinge duschen und die Nacht nackt in einem überfüllten Rohbau – dem Block 11, auch „Judenblock“ genannt – verbringen. Für die Notdurft dutzender Häftlinge stand lediglich ein Kübel bereit.
Als Marko und Ernst Feingold endlich Kleidung bekamen, mussten sie sich ihre Häftlingsnummer und -zeichen auf die Jacke nähen. (Zu diesem Zeitpunkt wurde die Nummer noch nicht tätowiert.) Sie bekamen nicht nur den roten und gelben Winkel (= aus politischen Gründen und als Jude verfolgt), sondern zusätzlich das Zeichen für die Strafkompanie, das Einteilung zur Schwerstarbeit bedeutete, und den so genannten Fluchtgefahr-Punkt. Juden standen in der KZ-Häftlingshierarchie generell ganz unten. Die Überlebenschancen der beiden Brüder lagen nicht nur deshalb, sondern auch aufgrund der weiteren Kennzeichnungen bei null.
20 Tage im KZ Auschwitz
Zur Zeit, als Marko und Ernst Feingold in Auschwitz waren, gab es noch keine Selektion. Die ersten Tötungen mit Zyklon B erfolgten erst im September 1941, im Frühjahr 1942 waren die ersten Gaskammern in Betrieb. Die Häftlinge wurden auch noch nicht in der umliegenden Industrie eingesetzt. In dieser Phase stand das Quälen durch sinnlose Arbeit im Vordergrund. Auch die Versorgungslage im KZ Auschwitz I war bewusst völlig unzureichend, um einen raschen Tod besonders jener Häftlinge, die in der Lagerhierarchie weiter unten standen, herbeizuführen. Die Nahrung – bestehend aus wässriger Suppe und etwas Brot – reichte nicht annähernd, um den Tagesbedarf an Energie zu decken. Dazu kamen Schwerstarbeit im Freien und praktisch keine medizinische Versorgung. Juden war es in der Regel verboten, leichtere Arbeiten zu übernehmen, da dies eine Erhöhung der Lebenschancen, die nur bei ca. drei Monaten lag, bedeutet hätte. Für sie galt: Tod durch Arbeit.
Täglich noch vor Morgengrauen und abends nach Beendigung der Zwangsarbeit mussten sich die Häftlinge am Appellplatz aufstellen und dort teilweise stundenlang regungslos verharren, um von der SS gezählt zu werden. Die beiden Brüder mussten jeden Tag im Laufschritt und unter Androhung von Schlägen Kies von einer Kiesgrube zu einer Baustelle transportieren. Die dafür verwendeten Holztragen waren nicht nur äußert schwer, sondern rieben die Haut auf. Innerhalb kürzester Zeit bekam Marko Feingold Wasserblasen und eitrige Fleischwunden an beiden Händen und an den Füßen. Notdürftig wickelte er sich Taschentuchfetzen um die Phlegmonen.
Er erinnerte sich, dass die SS-Leute ununterbrochen Häftlinge schlugen, schikanierten, misshandelten und ermordeten. Doch auch unter den Funktionshäftlingen fanden sich Sadisten. Beinahe verlor er sein Leben, als ein Vorarbeiter es auf ihn abgesehen hatte: Er versetzte Marko Feingold einen Faustschlag ins Gesicht, worauf dieser blutüberströmt zurücktorkelte, und wiederholte diese Misshandlung einige Male. Ein aufmerksamer „grüner“ Kapo bemerkte die Situation und rettete Marko Feingold, indem er ihn und seinen Bruder in ein anderes Arbeitskommando überstellte. Nun mussten die beiden gemeinsam mit anderen Häftlingen einen Damm schaufeln.
Wegen der harten Arbeit und unzureichender Versorgung war Marko Feingold nach knapp drei Wochen mit seinen Kräften am Ende. Zu dieser Zeit wurde ein Häftlingstransport ins KZ Neuengamme zusammengestellt. Ausgesucht wurden Menschen, die noch arbeitsfähig waren – darunter Ernst Feingold. Mit Hilfe des „grünen“ Kapos, der Marko Feingold bereits einmal das Leben gerettet hatte, kam auch er auf die Liste, was ihm das Leben rettete. Das Brüderpaar wurde am 25. April 1941 ins KZ Neuengamme transportiert.
- Wolfgang Benz / Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Hinzert, Auschwitz, Neuengamme, 9, München 2007.
- Andrea Rudorf (Hg.), Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Das KZ Auschwitz 1942–1945 und die Zeit der Todesmärsche 1944/45, 16, Oldenburg 2018.
- Marko Feingold – Überleben in einer erbarmungslosen Zeit. Aufgezeichnet nach Interviews von Fritz Rubin-Bittmann, in: Marko M. Feingold (Hg.), Ein ewiges Dennoch. 125 Jahre Juden in Salzburg, Wien / Köln / Weimar 1993, 241–273.
- Marko M. Feingold, Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh. Eine Überlebensgeschichte, hg. von Birgit Kirchmayr / Albert Lichtblau, Wien 2000 (2. Auflage Salzburg / Wien 2012).
- Sybille Steinbach, Auschwitz. Geschichte und Nachgeschichte, München 2020.
Autobiographien:
- Eva Schloss, Eva’s story. A survivor’s tale by the step-sister of Anne Frank, hg. von Evelyn Julia Kent, o. O. 1988. [Überlebende des Frauenlagers in Auschwitz-Birkenau]
- Primo Levi, Ist das ein Mensch?, Wien / München 1991. [Überlebender des Lagers Auschwitz Monowitz]