Internierung im Konzentrationslager Neuengamme
Das KZ Neuengamme wurde 1938 als Außenlager des KZ Sachsenhausen im Stadtteil Hamburg-Neuengamme errichtet. 1940 wurde es zu einem eigenständigen KZ mit über 85 Außenlagern. Nationalsozialisten inhaftierten im gesamten Lagerkomplex mehr als 100.000 Menschen und beuteten sie als Arbeitskräfte aus. Sie zwangen sie, vor allem schwere Schacht- und Erdarbeiten durchzuführen und massenhaft Ziegel zu produzieren, die für den Ausbau der „Führerstadt“ Hamburg benötigt wurden. Diese Schwerstarbeit unter menschenunwürdigen Bedingungen überlebte nicht einmal die Hälfte der Häftlinge. Als Marko Feingold inhaftiert war, war SS-Hauptsturmführer Martin Gottfried Weiß Lagerkommandant (November 1940 bis August 1942). Er wurde 1945 als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt und 1946 hingerichtet.
Veränderungen
Nachdem Marko Feingold gemeinsam mit seinem Bruder ins KZ Neuengamme überstellt worden war, fielen ihm Unterschiede zum KZ Auschwitz I auf: Im KZ Neuengamme waren vorwiegend kommunistische Funktionshäftlinge, die ihre Mithäftlinge seltener schlugen und meist gleichwertiger behandelten als die „grünen“ Kapos im KZ Auschwitz. In Auschwitz galt in dieser Phase das Prinzip „Jeder gegen Jeden“ und unter den Funktionshäftlingen waren seinem Eindruck nach viele Sadisten und Mörder. Im KZ Neuengamme hingegen erlebte er häufiger Solidarität unter Häftlingen.
Die Unterkunftsbaracke war in einem weniger katastrophalen Zustand als der Rohbau in Auschwitz. Die Feingold-Brüder konnten ihren Schlaf-Strohsack nun zumindest in ein Stockbett legen und ihre Notdurft in einer Latrine verrichten. Auch gab es ab 1941 eine funktionierende Wasserversorgung.
Als Marko Feingold nach seiner Ankunft den Waschraum betrat, war er erschüttert. Er blickte das erste Mal seit Wochen in einen Spiegel und erkannte sich nicht wieder. Sein Gesicht war völlig abgemagert und verändert. Erst als er einzelne Muskelpartien bewegte, wurde ihm schmerzlich bewusst, dass es sich tatsächlich um sein eigenes Spiegelbild handelte.
Schwerstarbeit und völlige Entkräftung
Marko und Ernst Feingold mussten an der Regulierung des Flussbettes der Dove Elbe mitarbeiten. Für die Brüder bedeutete dies, bei jeder Witterung feuchte Lehmerde zu lockern, in einen Karren zu schaufeln, den schweren Karren zum Flussbett zu schieben und auf einer schmalen Holzbohle, die über dem Flussbett lag, auszuschütten. Es war schwierig, auf der schlecht befestigten Bohle das Gleichgewicht zu halten. Marko Feingold fiel einmal ins Flussbett und schaffte es gerade noch rechtzeitig heraus, bevor er von den Hunden der SS angefallen wurde. Unter den SS-Leuten in Neuengamme waren besonders die Hundeführer gefürchtet, da sie gerne ihre Tiere auf Häftlinge hetzten.
Marko Feingold war ständig durchnässt, fror und hungerte. Die Wunden seiner Hände und Füße konnte er zwar mit etwas Stoff bandagieren, doch immer wieder brachen Eiterungen aus. Als er nur noch 35 Kilogramm wog, erkrankte er an der Ruhr, einer heftigen Darmerkrankung, die von Bauchkrämpfen und schmerzhaftem Durchfall begleitet wird. Er suchte daher den Krankenbau auf, wurde aber abgelehnt. Seinem Eindruck nach bevorzugten die politischen Funktionshäftlinge andere kommunistische Häftlinge, für „nur“ Juden war es schwer, im Krankenrevier aufgenommen zu werden. Stattdessen wurde er auf den Appellplatz geschickt, um Papierschnipsel einzusammeln. Dort war das Aufgebot an SS-Leuten aber am höchsten. Er erinnerte sich, dass selbst die härteste Schwerstarbeit nicht so viel Angst auslösen konnte wie die Arbeit unter Aufsicht unzähliger SS-Offiziere auf dem Appellplatz.
Sein Körper war durch Mangelernährung, Schwerstarbeit und weitgehend fehlende medizinische Versorgung völlig am Ende. Seine Gedärme sackten immer weiter ab, bis er schließlich einen Mastdarmvorfall erlitt. Er musste trotzdem weiterarbeiten.
Die Trennung des Brüderpaars
Bruder Ernst an seiner Seite zu haben, half Marko Feingold, das KZ Auschwitz und das KZ Neuengamme zu überleben. Die beiden schliefen beisammen, arbeiteten Seite an Seite und waren sich gegenseitig mentale Stütze. Marko Feingold versuchte sich auch deshalb durchzubeißen, damit sein Bruder weiter durchhielt. Doch aus Angst, Ernst könnte es nicht ertragen, wenn er neben ihm zusammenbrechen und sterben würde, ließ er sich schließlich einer Gruppe zuteilen, die ins KZ Dachau geschickt wurde. Diese Krankentransporte dienten auch der Wegschaffung von „Beinahe-Leichen“, da das KZ Neuengamme erst ab 1942 über ein eigenes Krematorium verfügte.
Marko Feingold war insgesamt fünf Wochen im KZ Neuengamme, vom 25. April 1941 bis 30. Mai 1941. Einige Stunden vor der Abreise bekam er einen Wecken Brot und eine Scheibe Margarine als Wegzehrung. Er teilte sie in der Nacht vor der Abreise mit seinem Bruder. Die beiden sahen sich zum letzten Mal. Es war ein Abschied für immer. Von den 250 Häftlingen des Transports kamen nur 70 lebend in Dachau an. Weitere 30 starben in den nächsten Wochen.
Ernst Feingold starb offiziell am 15. Januar 1942 an einer Krankheit. Aus internen Dokumenten des KZ Neuengamme geht allerdings hervor, dass er im Juni 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg vergast wurde.
- Wolfgang Benz / Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Hinzert, Auschwitz, Neuengamme, 9, München 2007.
- Marko Feingold – Überleben in einer erbarmungslosen Zeit. Aufgezeichnet nach Interviews von Fritz Rubin-Bittmann, in: Marko M. Feingold (Hg.), Ein ewiges Dennoch. 125 Jahre Juden in Salzburg, Wien / Köln / Weimar 1993, 241–273.
- Marko M. Feingold, Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh. Eine Überlebensgeschichte, hg. von Birgit Kirchmayr / Albert Lichtblau, Wien 2000 (2. Auflage Salzburg / Wien 2012).
- Hermann Kaienburg, Das Konzentrationslager Neuengamme 1938–1945, hg. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Bonn 1997.