Leben mit Hörbeeinträchtigung: Schock & Hilfe

02.02.2005

Planung für Schule und Beruf beginnt im Kleinkindalter

Hörbeeinträchtigung kann heute glücklicherweise schon bei Neugeborenen festgestellt werden. Das ermöglicht gezielte Förderung des Kindes von klein an und öffnet diesem damit bessere Chancen und Wege. Fast unverändert geblieben ist hingegen die Reaktion betroffener Eltern, wenn sie nach dem obligaten Neugeborenen-Screening erfahren, dass ihr Kind hörbeeinträchtigt ist: sie sind nach eigenen Angaben geschockt und verzweifelt. Sie wissen nicht, was diese Behinderung für ihr Kind bedeutet und wie sie damit umgehen sollen. Sie haben zu wenig Informationen über entsprechende Fördermöglichkeiten, Hilfsangebote, Selbsthilfegruppen, etc. Und dieses Nicht-Wissen belastet betroffene Eltern über Jahre hinweg.

„Kaum jemand befasst sich ohne persönliche Betroffenheit mit dem Thema Hörbeeinträchtigung. So ist es auch klar, dass sich Eltern Neugeborener erst einmal absolut nicht vorstellen können, was das für ihre Familie bedeutet, wie sie mit ihrem Kind kommunizieren können, ob und wie sich ihr Kind trotz schwerer oder gänzlicher Hörbeeinträchtigung altersgerecht entwickeln kann“: Dass diese schweren Gedanken recht schnell auch Überlegungen bezüglich Schule und Berufslaufbahn mit einschließen, weiß Ressortchef Bürgermeister-Stellvertreter Ing. Dr. Josef Huber.

Weil Hörbeeinträchtigung in Österreich nach wie vor kein öffentliches Thema ist und Gebärdensprachdolmetscher in Fernsehen und öffentlichen Einrichtungen noch immer die Ausnahme sind, ging die Stadt Salzburg mit gutem Beispiel voran: hier gehören kostenlose Gebärdensprachdolmetscher längst zum Service der Ämter: unbürokratische Anmeldung über die Behindertenbeauftragte.

Und das Büro der Behindertenbeauftragten produzierte im Rahmen des von Ressortchef Huber bereits 1994 initiierten Projekts „Barrierefreie Stadt Salzburg“ nun nach „Ganz Ohr“ (2003) ein weiteres Video für Eltern hörbeeinträchtigter Kinder. Diesmal geht es um den Bereich „Schule und Ausbildung“, um Chancen, mögliche Wege und auch Beispiele. Üblicherweise entscheiden sich Kinder und Jugendliche recht spät für eine bestimmte Schule oder Lehre. Bei Kindern mit Hörbeeinträchtigung werden die Weichen für ihr ganzes (Berufs)Leben jedoch bereits als Kleinkind gestellt: „Und zwar von ihren Eltern, die gemeinsam mit ihnen neben der Lautsprache auch die Gebärdensprache erlernen und sprechen. Nur die Gebärdensprache ermöglicht gemeinsame stressfreie Kommunikation und ist zugleich Voraussetzung zur altersgemäßen Entwicklung des Sprachzentrums im Gehirn und zur Bildung eines ausreichenden Wortschatzes. Dieser hat ganz entscheidenden Einfluss auf den späteren (Aus)Bildungsweg. Hier zählt buchstäblich jeder Tag“, unterstreicht Behindertenbeauftragte Alexandra Piringer die große Verantwortung der Erziehenden.

Rasche und ausführliche Information hilft hier Barrieren abzubauen, die sonst ein Leben lang behindern. Dass solche Informationen im gesamten deutschsprachigen Raum Mangelware sind, weiß Dr. Günther Witzany, Leiter der Video-Produktion, aus eigener Recherchearbeit. Beweis sind aber auch die mehr als 600 Bestellungen für das erstes Video zum Thema: diese kamen aus ganz Österreich und Deutschland, auch etliche Institutionen klopften an.

Video Teil I:
• Ziel des Videos „Leben mit Hörbeeinträchtigung, Teil 1: GANZ OHR“
ist die verständliche Vermittlung objektiver Informationen über alles Wissenswerte zum Thema Hörbeeinträchtigung bei Kleinkindern und Frühförderung an Hand verschiedener konkreter Beispiele. Dazu gibt’s Interviews und Dokumentationen der möglichen Entscheidungen und ihrer Auswirkungen anhand konkreter Lebensgeschichten. Das Video bietet Handlungsorientierungen die unnötige Leidenswege für Kind und Eltern vermeiden helfen.

Video Teil II:
• Das Ende 2004 fertig gestellte Video „Leben mit Hörbeeinträchtigung, Teil 2: „Schule und Berufswahl“ hilft Eltern hörbeeinträchtigter Kinder bei der Suche nach Perspektiven und positiven Entwicklungsmöglichkeiten ihres Kindes. Die Eltern sehen Beispiele einer normalen Entwicklung über die Frühförderung hinaus: Schulbildung, Lehre, Beruf, Studium. Das Video zeigt unmissverständlich, dass nur die zweisprachige Erziehung (laut- und gebärdensprachlich) eine optimale und dem Alter entsprechende Kommunikationsentwicklung des Kindes gewährleisten kann. Dann sind auch Gymnasium und Studium und ein höher qualifizierter Beruf realistische Möglichkeiten für ihr hörbeeinträchtigtes Kind.

Die Videos werden durch eine Gebärdensprachdolmetscherin für gehörlose Eltern gedolmetscht bzw. wird der Begleittext untertitelt.


Hörbeeinträchtigung – Was ist das?

Hörbeeinträchtigungen gehören zu den am meist verbreiteten körperlichen funktionellen Beeinträchtigungen überhaupt. Die Zahlen sind aufgrund von zunehmenden Lärmbeeinträchtigungen am Arbeitsplatz sowie im Freizeitbereich – durch Verkehr, Walkman, Discos - im Ansteigen. Wobei Hörbeeinträchtigung von Kindern nicht mit später eintretender Hörbeeinträchtigung vergleichbar ist. Letztere lässt sich mittels Hörgerät oder, wenn nötig, durch Cochlear Implantat gut ausgleichen.

Insgesamt leben im Bundesland Salzburg 500 bis 700 hochgradig Hörbeeinträchtigte (an Taubheit grenzende Hörbeeinträchtigung). Sechs Prozent der Bevölkerung haben eine Hörbeeinträchtigung mittleren Grades, das sind im Land Salzburg ca. 15.000 - vor allem ältere - Personen. Ein bis zwei von 1000 Neugeborenen sind hörbeeinträchtigt.


Hören: Voraussetzung für die Entwicklung des Sprachzentrums

Hochgradig hörbeeinträchtigte Kleinkinder kennen den Sinnesreiz Geräusch/Ton überhaupt nicht. Er zählt nicht zu ihrem Erfahrungsbereich. Hören ist im Kleinkindalter jedoch eine Voraussetzung für die Entwicklung des Sprachzentrums im Gehirn. Damit eine Stimulation des Sprachzentrums erfolgen kann ist die Erstversorgung mit Hörgeräten unerlässlich. Reichen Hörgeräte nicht aus, besteht die Möglichkeit, einer elektronische Hörprothese zu implantieren: durch dieses Cochlear Implantat (CI) wird der Hörnerv direkt stimuliert.
Dennoch ist der Spracherwerb ohne Entwicklungsverzögerung - ob mit Hörgerät oder Cochlear Implantat - nur durch gezielte Frühförderung und aktive Mithilfe der Eltern möglich. Durch das Erlernen der Gebärdensprache kann die altersgemäße (!) Entwicklung des Sprachzentrums gewährleistet werden. Gebärdensprache ermöglicht Eltern und Kindern gleichermaßen miteinander zu kommunizieren, unabhängig von den Fortschritten der lautsprachlichen Sprachentwicklung.

Mittels Gebärdensprache können Eltern den Kindern z.B. erklären, dass eine CI Operation auf sie zukommt bzw. was die Kinder mit dem CI hören. So können Geräusche und Töne den Tonquellen zugeordnet werden, was ohne alternative Kommunikationsform nicht möglich ist. Fachleute gehen heute davon aus, dass die bilinguale, die laut- und gebärdensprachliche Entwicklung, für hörbeeinträchtigte Kinder der bestmögliche Weg einer gedeihlichen Entwicklung ist. Nicht zuletzt, weil die Kommunikation auch bei einem technischen Defekt der Hörprothese ohne Unterbrechung weiter gehen kann.


Die Videos für Eltern hörbeeinträchtigter Kinder sind kostenlos erhältlich bei:

• Frühförderzentrum am Landesinstitut für Hörbehinderte
Lehener-Str. 1a, 5020 Salzburg
Tel./Fax 0662/431 147, lih@salzburg.gv.at

• Mutter- & Elternberatung für die Stadt Salzburg
Anton-Neumayr-Platz 3/3. OG, 5020 Salzburg
Tel. 0662/8042-2887, 2894, Fax 0662/8042-3202
gabriele.wiehart@land.sbg.gv.at

• Beratungsstelle des Salzburger Gehörlosenverbandes
Schopperstr. 21, 5020 Salzburg
Tel. 0662/455 150, Fax-DW 12, Schreibtelefon 0662/455 150-13
beratungsstelle@gehoerlose-salzburg.at

• Referat für Erwachsenenbildung und Bildungsmedien
Schießstattstr. 2, 5010 Salzburg
Tel. 0662/8042-5610, Fax-DW 5630, eb@salzburg.gv.at

• Stadt Salzburg, Behindertenbeauftragte
St. Julienstr. 2, 5020 Salzburg
Tel. 0662/8072-3232, Fax-DW 2083
behindertenbeauftragte@stadt-salzburg.at


Das Video „Leben mit Hörbeeinträchtigung, Teil 2: Schule und Berufswahl“ entstand mit großzügiger Unterstützung von:

Hansaton * Land Salzburg * Med-El * Cochlear * Verband der
Gehörlosenvereine im Land Salzburg * AUVA

Danke!

Stockklauser, Doris (11451)