Sozialunterstützung statt Mindestsicherung: Das hat sich verändert
Seit 1. Jänner 2021 gilt in Salzburg das Sozialunterstützungsgesetz (SUG). Es löst die bisherige Bedarfsorientierte Mindestsicherung ab. Grundlage dafür ist das mit 1. Juni 2019 in Kraft getretene Sozialhilfe-Grundsatzgesetz des Bundes. Welche grundlegenden Änderungen und Verschlechterungen sich dadurch für die anspruchsberechtigten Personen ergeben, haben die Expertinnen und Experten aus der Sozialabteilung der Stadt anhand von Beispielen veranschaulicht.
Die Verlierer des Systems
Sozialstadträtin Anja Hagenauer ortet vor allem drei Gruppen als Verlierer des neuen Systems: „Erstens all jene, die in Salzburg zu teuer wohnen müssen und davon gibt es nicht gerade wenige. Zweitens Kinder: Kinder verlieren durch dieses Gesetz mit einem Federstrich ca. 40 Prozent ihrer bisherigen Unterstützung. Diese Kinder trifft keine Schuld an der prekären Lage ihrer Eltern, doch sie werden mit diesem Gesetz einfach mit in Sippenhaft genommen und der Ausstieg aus der Armutsspirale wird für diese Kinder weiter erschwert. Drittens werden jene, deren bisheriges Auskommen von Sonderzahlungen, wie dem 13. und 14. Monatsgehalt abhängig war, vom neuen Gesetz besonders hart getroffen. Denn Sonderzahlungen, die für viele Normalverdiener ein Zuckerl und Anreiz zum Konsumieren sind, machen für Menschen in der Mindestsicherung den lebenswichtigen Unterschied aus.“
SUG auch Herausforderung für Verwaltung
„Das Sozialamt der Stadt Salzburg hat sich akribisch auf die SUG Umstellung vorbereitet und sich aktiv bis kurz vor Inkrafttreten bei der Oberbehörde dafür eingesetzt, dass es auch für Leistungsbezieher*innen noch zu der einen oder anderen Erleichterung kommt (Stichwort Privatkauf von Babyartikeln). Dennoch ist der Geschmack des Gesetzes ein schaler – ein zum Teil massiv gestiegener Aufwand auf allen Seiten (Antragsteller und Behörde) steht einer überwiegenden Zahl an Leistungseinschränkungen gegenüber. Ob dies tatsächlich den Grundsätzen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit entspricht sei dahingestellt. Wir haben diese vom Bund im Grundsatz und vom Land in seiner Ausführung beschlossenen Gesetze zu vollziehen. Wir sind die Überbringer der schlechten Nachricht für die wir im Grunde nichts können. Und das böse Erwachen wird für viele erst in den Sonderzahlungsmonaten kommen“, so Patrick Pfeifenberger, Abteilungsvorstand der MA 3 Soziales. „Letztlich bedanke ich mich bei meiner Amtsleiterin und allen Kolleginnen und Kollegen im Sozialamt, die trotz der nunmehr einjährigen Corona-Krise immer für die Hilfesuchenden in der Stadt erreichbar waren und ihren Job großartig erledigen. Sie haben auch die Herausforderung SUG angenommen und meistern diese – angesichts der schwierigen Umstände - herausfordernde Arbeit mit Bravour.“
Wesentliche Veränderungen
Grundsätzlich gilt: Die Höhe der Sozialunterstützung wird auf Basis der jeweiligen Lebensverhältnisse der hilfesuchenden Person berechnet. Während in der Mindestsicherung 75 Prozent des Mindeststandards (Richtsatz) für den Lebensunterhalt und 25 Prozent für den Wohnbedarf vorgesehen waren, ist das Verhältnis im SUG anders geregelt: 60 Prozent Lebensunterhalt und 40 Prozent Wohnen. Das bedeutet, es stehen weniger Mittel für den Lebensunterhalt zur Verfügung.
Neu ist nun, dass Sonderzahlungen wie das 13. und 14. Gehalt bei Erwerbstätigen und Pensionist*innen, Einkommen aus Ferialbeschäftigung oder auch die Wohnbeihilfe – anders als in der BMS – als Einkommen gerechnet werden. Das heißt, dass Antragsteller in Sonderzahlungs-Monaten verminderte oder gar keine Sozialunterstützung erhalten. Pensionist*innen sind im Mai und Oktober betroffen. Für die Verwaltung bedeutet dies mehr Entscheidungen und kürzere Leistungszeiträume. Zudem entfallen in der SU die Kinder-Sonderzahlungen, bis Ende 2020 waren das in den Monaten März, Juni, September und Dezember 96,32 Euro pro minderjährigem Kind.
Weniger Leistungen für Kinder
Kinder von Sozialunterstützungsbezieher*innen sind besonders betroffen: In der BMS gebührte ihnen Lebensunterhalt in Höhe von 21% des Richtsatzes für ihren Lebensunterhalt und zusätzlich noch anteilige Wohnkosten als Ermessensleistung. Weiters erhielten sie vierteljährlich eine Kinder-Sonderzahlung in Höhe von jeweils 50% des monatlichen Kinder-Richtsatzes. Nun gibt es in der Sozialunterstützung keine Kindersonderzahlungen mehr und auch keine Ermessensleistung mehr fürs Wohnen. Vielmehr müssen die Kinder jetzt auch zur Abdeckung der Wohnkosten wie die Erwachsenen einen Wohnkostenanteil in Höhe von 40% von ihrem Kinder-Richtsatz abgeben. So bleibt den Kindern lediglich ein Betrag von 60% dessen, was sie noch 2020 als Lebensunterhalt in der BMS erhalten haben.
Sonderbedarfe nur als Sachleistungen
Geburtenbeihilfe und Schulmittelbeitrag gibt es nur mehr gegen Rechnungs- oder Kostenvoranschlagslegung. „Das bringt einen großen Aufwand für die Antragsteller*innen mit sich, denn die Beihilfe erfolgt nun durch Vorfinanzierung oder Kostenvoranschlags-Beschaffung. Das geht mit einem Verlust der Selbstbestimmung und dem Gefühl der Entwürdigung einher. Zudem steigt für uns wiederum der Mehraufwand: Wesentlich mehr Zahlungsaufträge sind zu erlassen, Prüfaufwand und Kommunikationsbedarf steigen“, weiß Renate Szegedi-Staufer, Leiterin des Sozialamts.
Neu ist auch, dass Leistungen bei erstmaliger Antragstellung erst mit dem Tag der Antragstellung möglich sind (Aliquotierung). In der BMS erstreckte sich die Leistung immer über einen ganzen Monat. Für die Antragsteller*innen bedeutet das einen Leistungsverlust für jene Tage, die vor dem Tag der Erstantragstellung liegen. (Beispiel: Erstantrag am 10.3., daher keine Leistung für 1.-9.3.) Der Verwaltungsaufwand steigt, da komplexere Rechenoperationen durchzuführen sind.
Die Wohnbeihilfe wird bei der Sozialunterstützungen vom HWA (Höchstzulässigen Wohnaufwand) abgezogen, nicht wie in der BMS vom tatsächlichen Wohnaufwand. Dies führt zu Leistungsverlusten beim Wohnaufwand in vielen Haushalten und massivem Erklärungsbedarf in den Ämtern.
Strom- und Heizkosten sind für jeden Haushalt exakt zu bewerten, in der BMS waren sie dagegen pauschaliert im Lebensunterhalt erfasst. „Für die Betroffenen bedeutet dies einen Mehraufwand beim Beschaffen der Unterlagen und für die Mitarbeiter*innen in den Ämtern einen höheren Verwaltungsaufwand durch komplexere Rechenvorgänge, mehr Verbesserungsaufträge im Verwaltungsverfahren (Unterlagenbeschaffung) und höheren Kommunikationsaufwand“, so Szegedi-Staufer.
Anders als in der BMS gibt es seit 1. Jänner 2021 keine Möglichkeit zur Abdeckung eines Mietenrückstandes mehr für Menschen, die keine Sozial-unterstützung beziehen. Das führt zu einer Verringerung der Hilfe-möglichkeiten bei Mietrückstand und sorgt für mehr Einsatz in der Sozialarbeit.
Geändert haben sich auch die Voraussetzungen beim Hauptwohnsitz. Dieser und ein tatsächlicher dauernder Aufenthalt im Land Salzburg müssen vorliegen. Zum Vergleich: In der BMS genügte der Hauptwohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt. Das hat vor allem Auswirkungen auf Obdachlose.
Bei den anspruchsberechtigten nicht-österreichischen Staatsbürger*innen sind es Drittstaatsangehörige, die noch nicht fünf Jahre hier sind (und auch keine Familienangehörigen haben), die anders als in der BMS keine Leistung mehr erhalten. In der BMS gab es für diese Gruppe Ermessensleistungen.
Die Beispiel-Fälle im Detail
Fall 1:
Herr und Frau B. (52 und 35 Jahre), verheiratet, Invaliditätspensionsbezug bzw. kein Einkommen
Herr und Frau B. leben in einer kostengünstigen Genossenschaftswohnung (49 qm) mit einer monatlichen Miete von 430,90 €. Strom und Heizkosten belaufen auf monatlich 98 €. Die Summe der Wohnkosten beträgt somit 528,90 €. WBH-Anspruch besteht keiner.
Hr. B. bezieht Invaliditätspension von monatlich 1.425,53 €. Davon wird ihm wegen Unterhaltsschulden ein Betrag von 459,53 € monatlich exekutiert. Somit bleiben als Einkommen für den Haushalt 966 € übrig. Frau B ist im laufenden Substitutionsprogramm und bezieht keinerlei Einkommen (Krankengeld ausgesteuert). Frau B. wird sozialarbeiterisch betreut (IV-Pension angedacht).
Anspruchsberechnung dieser Fallkonstellation:
Mindestsicherungsanspruch: 549,37 €
Sozialunterstützungsanspruch: 408,48 €
Differenz monatlich: -140,48 €
Differenz jährlich: -2.222,58 € (10 x -140,48 € / 2 x -408,48 €)
Die jährliche Differenz errechnet sich aus der monatlichen Differenz in zehn Monaten und dem gänzlichen Entfall der Hilfeleistung in den Sonderzahlungsmonaten von Hr. B. In diesen beiden Monaten besteht aufgrund der Anrechnung von Sonderzahlungen als Einkommen kein Anspruch auf Sozialunterstützung. In der BMS wurden 430,90 € an Wohnkosten angerechnet, in der SU sind es nun aufgrund der Erhöhung des HWA und der Anrechnung von Heiz- und Stromkosten als Wohnkosten 528,90 €. Dies ergibt eine Besserstellung in der SU. Diese Besserstellung wird aber vom reduzierten Lebensunterhalt (-117,24 € pro Person) wieder aufgefressen.
Fall 2: Frau K., 25 Jahre, Alleinerziehende mit 1 mj. Kind, AMS-Bezug und Unterhaltsvorschuss
Frau K. lebt mit ihrem minderjährigem Kind in einer 65qm Genossenschaftswohnung mit Mietkosten von 872,21 €. Die Strom und Heizkosten betragen 122,73 €. Gesamtwohnkosten somit 994,94 €. Frau K. bezieht WBH in der Höhe von 639,27 €. Das Einkommen setzt sich aus der Notstandhilfe von Frau K. idHv. 442,56 € und einem Unterhaltsvorschuss für das minderjährige Kind idHv. 260 € zusammen.
Anspruchsberechnung dieser Fallkonstellation:
Mindestsicherungsanspruch: 436,60 €
Sozialunterstützungsanspruch: 303,64 €
Differenz monatlich: -132,96 €
Differenz jährlich: -1.980,80 € (12x -132,96 € / Kindersonderzahlung jährlich -385,28 €)
Die Wohnkosten liegen weit über dem HWA und die Wohnbeihilfe wird nicht von den tatsächlichen Wohnkosten abgezogen, sondern vom HWA. In der BMS wurden ihr 258,51 € Wohnkosten angerechnet, jetzt nur mehr 75,73 €. Lebensunterhalt früher 880,65 € jetzt 803,24 € (trotz Alleinerziehenden-Bonus). Darüber hinaus verliert Familie K. die Kindersonderzahlungen welche in der BMS vierteljährlich ausbezahlt wurden. Jahressumme: 385,28 €
Fall 3: Familie K., Eltern (36 und 34 Jahre) + 3 mj. Kinder (11, 9, 4), AMS-Bezug und geringfügige Beschäftigung
Familie K. (anerkannte Flüchtlingsfamilie) wohnt in einer privaten Mietwohnung (52qm) mit monatlichen Mietkosten von 838,30 € und Strom- und Heizkosten von 123,35 €. Gesamtwohnkosten somit 961,65 €.
Herr K. bezieht Notstandshilfe in der Höhe von 682,25 € und 109,55 € aus geringfügiger Beschäftigung (Berufsfreibetrag bereits abgezogen). Seine Frau ist beim AMS gemeldet aber ohne Leistung.
Anspruchsberechnung dieser Fallkonstellation:
Mindestsicherungsanspruch: 1.634,25 €
Sozialunterstützungsanspruch: 1.326,28 €
Differenz monatlich: -307,97 €
Differenz jährlich: -4.851,48 € (12x -307,97 € / Kindersonderzahlung jährlich -1.155,84 €)
Familie K. bekommt zwar in der SU (961,65 €) mehr Wohnkosten angerechnet als in der BMS (819 €) aber der geringere Lebensunterhalt frisst diese Besserstellung bei Weitem auf. LU BMS: 1.609,94 € / LU SU: 1.156,43 €
Zum monatlichen Verlust kommt auch noch der Verlust der Kindersonderzahlungen (jährlich 1.155,84 €) dazu.
Fall 4: Familie A., Eltern (42 und 35 Jahre) + 4 mj. Kinder (17, 14, 11, 1), + vj. Tochter (19) im Haushalt, Kinderbetreuungsgeldbezug
Familie A. (anerkannte Flüchtlingsfamilie) lebt in einer Privatwohnung (65qm) mit Mietkosten (inkl. Heizkosten) von 1.006,85 €. Dazu kommen noch monatliche Stromkosten von 91,91 €. Die Gesamtwohnkosten betragen somit: 1.098,76 €. Das Einkommen der Familie besteht nur aus Kinderbetreuungsgeld der Mutter idHv. 441,95 € monatlich. Der Ehegatte ist mit einer Behinderung von 60% aufgrund Gehörlosigkeit derzeit nicht vermittelbar und wartet auf einen Gehörlosendeutschkurs.
Anspruchsberechnung dieser Fallkonstellation:
Mindestsicherungsanspruch: 2.148,37 €
Sozialunterstützungsanspruch: 1.946,83 €
Differenz monatlich: -201,54 €
Differenz jährlich: -3.959,60 € (12 x -201,54 / Kindersonderzahlung jährlich –1.541,12 €)
Familie A. bekommt zwar in der SU (1.098,76 €) mehr Wohnkosten angerechnet als in der BMS (919,01 €) und in der SU erhält der Familienvater einen Behindertenzuschlag von 170,90 € monatlich, aber beide Besserstellungen werden vom geringeren Lebensunterhalt aufgefressen. LU BMS: 1.802,58 € / LU SU: 1.446,96 €
Zum monatlichen Verlust kommt auch noch der Verlust der Kindersonderzahlungen (jährlich 1.541,12 €) hinzu.
Christine Schrattenecker