Wiederaufbau und Konsolidierung der neuen Gemeinde
Mangelnde Hoffnung
Angesichts der geringen Zahl von etwa 200 Personen, die nach 1948 in Salzburg geblieben waren und des nach wie vor zu spürenden Antisemitismus in der österreichischen Bevölkerung setzten die Funktionäre des jüdischen Zentralkomitees nicht viel Hoffnung in den Fortbestand einer jüdischen Gemeinde. Moritz Einziger, Buchenwald-Überlebender und Mitarbeiter des Komitees berichtete etwa: „Zum Teil war die Bevölkerung recht freundlich, zum Teil ablehnend, und wir waren uns nie recht sicher, ist die Freundlichkeit echt oder nur von außen. Ich habe es auch erlebt, daß die Leute, die zuerst freundlich waren, später ihr wahres Gesicht gezeigt haben. Wir waren mißtrauisch durch unser Erlebnis, mißtrauisch der ganzen Welt gegenüber.“
Neues religiöses Leben
Im Herbst 1945 normalisierte sich jedoch zumindest das religiöse Leben. In der damaligen Schlachthofstraße 19, der heutigen Hans-Prodinger-Straße, wurde ein provisorischer Betsaal eingerichtet. Am Shabbat versammelten sich dreißig bis vierzig Männer zum Gebet, täglich fanden Gottesdienste statt, damit jene, die Familienangehörige verloren hatten, das Kaddisch (Totengebet) sprechen konnten. Zudem kam es 1946 zur Rückstellung des jüdischen Gemeindebesitzes – die Synagoge in der Lasserstraße und der Friedhof in Aigen[AP1] . Damit konnte an den eigentlichen Aufbau und die Konsolidierung des Gemeindelebens herangegangen werden: Gab es auch keinen Rabbiner oder Kantor, so fanden sich unter den Überlebenden doch genug religiös gebildete Menschen mit ausreichenden Kenntnissen zur Abhaltung ritualgetreuer Gottesdienste. Überdies wurde eine koschere Küche für die Pessach-Feiertage eingerichtet, gemeinschaftliche Sederabende fanden statt. Man bemühte sich des Weiteren um Religionsunterricht für die ab 1946/47 geborenen Kinder, ab 1955/56 konnte ein solcher bereits an allen Salzburger Schulen erteilt werden.
Wichtige Personen
Hermann und Moritz Einziger, Ladislaus Friedländer, Ladislaus Nemeti, Herzl Wieder, Jacob Radzyner,...
Einige der in Salzburg gestrandeten Shoah-Überlebenden übernahmen von Beginn an im Jüdischen Komitee, das vorläufig die Geschäfte der Kultusgemeinde führte, wichtige Arbeiten. Dadurch blieben sie zumeist länger als gewollt – einige für immer – in Salzburg. Zu ihnen zählten etwa die Brüder Moritz und Hermann Einziger. Sie gehörten, wie Marko Feingold, zu jenen Buchenwald-Überlebenden, denen die sowjetische Armee 1945 die Rückkehr in die Heimatstadt Wien verwehrt hatte. In Salzburg übernahmen sie daraufhin Funktionen im Jüdischen Komitee, im Joint (= American Joint Distribution Committee, die größte jüdische Hilfsorganisation in den USA) und in der Israelitischen Kultusgemeinde.
So waren sie beide von Anfang in deren Vorstand aktiv:
Im Juli 1946 wurde Hermann Einziger zum Vorsitzenden gewählt, Moritz Einziger und Pinkas Spiegel zu Beiräten und Valentin Gelber zum Rechtskonsulenten. Gleichzeitig waren alle mit der provisorischen Leitung der IKG beauftragt (bestellt von der Landeshauptmannschaft Salzburg).
Moritz Einziger übersiedelte 1948 von Salzburg nach München, wo er weiterhin für den Joint arbeitete. Von 1956 bis 1981 war er in Wien für diesen zuständig. Hermann Einziger wirkte von 1945 bis 1976 in Salzburg als Präsident und Vorsteher der Israelitischen Kultusgemeinde. Anfang 1946 wurde er vom Salzburger Gemeinderat auch in den Beirat für Wohnungsvergebung bestellt und konnte somit Juden und Jüdinnen offiziell (und nicht mehr „nur“ als Bittsteller) zu Wohnungen verhelfen.
Valentin Gelber war ein Wiener Rechtsanwalt, der nach seiner Befreiung in Buchenwald einige Jahre in Salzburg lebte und zu einem renommierten Verteidiger der Nachkriegsjahre avancierte. 1950 wanderte er nach Israel aus und zeigte sich nach wie vor der Monarchie verbunden. Der aus Polen stammende Pinkas Spiegel hatte die Konzentrationslager Auschwitz, Bergen Belsen und Buchenwald überlebt. Er war gelernter Buchhändler, wirkte in Salzburg aber hauptsächlich als Religionslehrer.
Ein weiteres Vorstandsmitglied sowie Sekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg war Ernst Fuchs. Der überzeugte Kommunist hatte in Wien Maschinenbau und Elektrotechnik studiert und war in den 1930er Jahren als Ingenieur in die Sowjetunion gegangen. 1939 war er nach Belgien und Frankreich geflüchtet, wo er 1940 an die Deutschen ausgeliefert worden war. Er hatte die Konzentrationslager Auschwitz-Blechhammer und Langenstein, ein Außenlager von Buchenwal überlebt.
Einigen ehemaligen DPs gelang es überdies in Salzburg wirtschaftlich Fuß zu fassen: Die späteren Vorstandsmitglieder Ladislaus Friedländer und Ladislaus Németi betrieben je eine Strickerei, Jakob Radzyner gründete in Puch bei Hallein die Gummifabrik „Vulcano“.
Die eigentliche Neu-Gründung der Gemeinde
Auch wenn die 1938 zerstörte Israelitische Kultusgemeinde seit 1946 wieder über eine provisorische Leitung verfügte, so fehlten für eine Wiedergründung in juristischer Hinsicht die dafür notwendigen fünfzig Juden österreichischer Staatsbürgerschaft, wie es ein damals noch gültiges Gesetz aus dem 19. Jahrhundert forderte. Erst 1953 konnte die Israelitische Kultusgemeinde Salzburg offiziell wieder ins Leben gerufen werden bzw. wurde durch eine Entschließung des damaligen Landeshauptmanns Dr. Josef Klaus als öffentlich-rechtliche Körperschaft neu gegründet. Hermann Einziger war nun auch de jure Präsident, Ludwig Löwy sein Stellvertreter. Kultusräte waren Fritz Kral, der Rechtsanwalt Richard Weinberger sowie Ernst Fuchs.
Als 1968 auch die Synagoge neu eröffnet wurde, war Ludwig Löwy Präsident der Kultusgemeinde, Hermann Einziger sein Stellvertreter und geschäftsführender Kultusrat. Weitere Kultusräte waren Ladislaus Friedländer, Ernst Fuchs, Ladislaus Németi, Jakob Radzyner und Herzl Wieder.
- Helga Embacher, Neubeginn ohne Illusionen, in: Marko M. Feingold (Hg.), Ein ewiges Dennoch. 125 Jahre Juden in Salzburg, Wien / Köln / Weimar 1993, 285–336.
- Helga Embacher, Die Salzburger jüdische Gemeinde von ihrer Neugründung im Liberalismus bis zur Gegenwart, in: Dies. (Hg.), Juden in Salzburg. History, Cultures, Fates, Salzburg 2002, 38–66.
- Mendel Karin-Karger (Hg.), Salzburgs wiederaufgebaute Synagoge. Festschrift zur Einweihung, Salzburg 1968.