Jüdische Displaced Persons in Salzburg
Lager, Ressentiments und Antisemitismus
Die Zahl der Displaced Persons in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im Jahr 1946 auf ca. 450.000 bis 500.000 geschätzt. Dies entsprach etwa sieben Prozent der österreichischen Bevölkerung nach dem Krieg. Ein nicht unwesentlicher Teil blieb dabei in zahlreichen Lagern in und um die Grenzstadt Salzburg hängen. Diese waren weitgehend nach Nationalitäten getrennt. So gab es u. a. ein „Russenlager“ in Parsch in der Stadt Salzburg, das „Schwabenlager“ in Grödig für so genannte „Donauschwaben“ bzw. „Donaudeutsche“ (aus Gebieten in Rumänien, Ungarn und dem ehemaligen Jugoslawien) sowie mehrere Lager für jüdische DPs – insbesondere Personen aus Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei, Sowjetunion sowie ab 1947 aus Rumänien. Obwohl ihr Anteil an den DPs insgesamt gering war, hatte gerade ihre Ankunft eine Welle von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zur Folge. Manche bezeichneten sie gar als „Hitlers Unvollendete“. Angelastet wurde ihnen vor allem ihre Beteiligung am Schwarzmarkthandel, an dem allerdings auch ein Großteil der österreichischen Bevölkerung partizipierte. Das Stereotyp vom feilschenden „jüdischen Hausierer“ wurde wiederbelebt, nun in der Variante des feilschenden „Schwarzmarktjuden“. Die schwierige Situation war jedoch auf beiden Seiten weitgehend festgefahren: Tief verwurzelte Ressentiments seitens der lokalen Bevölkerung sowie deren ökonomische Sorgen und Kampf um das tägliche Überleben in den ersten Nachkriegsjahren standen dem großen Misstrauen der jüdischen DPs gegenüber, die in Österreich in erster Linie ein Feindes- und Täterland sahen.
Exkurs – Proteste von jüdischen DPs gegen Veit Harlan
Internationale Aufmerksamkeit kam Salzburg schließlich zu, als 1951 drei Tage lang jüdische DPs mit Mitgliedern antifaschistischer Verbände für die Absetzung von Veit Harlans Film „Die unsterbliche Geliebte“ demonstrierten, da Harlan auch der Regisseur des antisemitischen NS-Propagandafilms „Jud Süß“ (1940) gewesen war. Als die Polizei mit Knüppel gegen die Demonstrierenden vorging, verletzte sie vor allem ältere Juden, die nicht schnell genug entkommen konnten. PassantInnen stellten sich auf die Seite der Polizei, die auch in das Haus der Kultusgemeinde in der Mertensstraße eindrang. Landeshauptmann Klaus fürchtete vor allem um den Ruf der „Festspielstadt“ Salzburg. (Er sprach sich überdies dagegen aus, Weihnachtspakete an jüdische Flüchtlingskinder zu verteilen.)
Die jüdischen DP-Lager im Detail
In folgenden Lagern in der Stadt Salzburg waren zwischen 1945 und 1949 jüdische DPs untergebracht:
- Camp Mülln im Augustiner Bräu Kloster Mülln
- Camp Judah, in der Riedenburgkaserne
- Camp Herzl, in der Franz-Josefs-Kaserne in der Schrannengasse
- Bet Bialik, in der Struberkaserne in der Kleßheimer Allee
- Bet Trumpeldor, in Gnigl
- New Palestine, in Parsch.
Zudem im Bundesland Salzburg:
- Puch bei Hallein
- Givat Avoda, in der Wallnerkaserne in Saalfelden.
Hierunter war Camp Mülln eines der ersten DP-Lager, die in Salzburg im Sommer 1945 eingerichtet wurden. Es handelte sich dabei um ein Durchgangslager für rund 200 bis 250 Personen. Für die meisten war dies nur ein Zwischenstopp vor der Weiterreise, vor allem nach Palästina, d. h. der Großteil der DPs hielt sich hier nur kurz auf – meist weniger als 72 Stunden.
Camp Mülln war aber auch der erste Salzburger Stützpunkt der Bricha, jener jüdischen Organisation, die umfangreiche illegale Einwanderungen nach Palästina organisierte. Das Lager wurde 1947 geschlossen.
Von größerer Bedeutung war im Folgenden Camp Judah in der Riedenburgkaserne: Nach einer vorübergehenden Schließung wurde es nach der Ankunft vieler polnisch-jüdischer Flüchtlinge 1946 wiedereröffnet und beherbergte bald mehr als 1.800 Menschen, bis es 1949 erneut und endgültig geschlossen wurde. Wie in den meisten anderen Lagern gab es dort eine Schule für rund 160 Kinder, und zusätzlich noch ein Bet Hamidrash, wo Kinder Religionsunterricht erhielten. Für Kleinkinder stand ein Kindergarten zur Verfügung und für Erwachsene zudem eine Abendschule.
Camp Judah war zugleich vermutlich das militanteste aller Salzburger DP-Lager. Die Bricha verlegte ihr Hauptquartier in das Lager und die rechts-zionistische Vereinigung Betar veranstaltete militärische Übungen für Rekruten, die sich in Palästina dem Kampf gegen Briten und Araber anschließen wollten. Zudem war Camp Judah auch eines der Zentren des Schwarzmarktes in Salzburg.
Unter den verschiedenen jüdischen DP-Lagern sticht Camp Herzl in der ehemaligen Franz-Josefs-Kaserne in der Paris-Lodron Straße 9 als verwaltungstechnisch negatives Beispiel hervor. Mit bis zu 2.000 BewohnerInnen war es hoffnungslos überfüllt, die sanitären Einrichtungen waren völlig unzureichend. Als die US-Behörden im Sommer 1947 beschlossen, den Lagerbetrieb nach einem Jahr wieder einzustellen, wurde dies den BewohnerInnen jedoch nur lakonisch mitgeteilt. Sie gerieten in Panik, als sie von der Schließung des Lagers hörten, verbarrikadierten sich daraufhin und traten in den Hungerstreik. Rund zweihundert amerikanische Soldaten wurden mobilisiert, die unter Anwendung von Tränengas versuchten, die Menschen aus dem Lager zu bringen. Insgesamt dauerte es fast eine Woche, bis endlich eine Lösung erzielt werden konnte.
Heute ist im ehemaligen Camp Herzl das Thomas-Bernhard-Institut für Schauspiel und Regie der Universität Mozarteum untergebracht. 2015 wurde in Koproduktion mit der Universität Tel Aviv das sehr eindrucksvolle Theaterstück Camp Herzl aufgeführt.
Zionismus, Überlebensphilosophie und neues kulturelles Leben
Alle jüdischen DP-Lager wurden in Selbstverwaltung geführt, wobei Mitglieder verschiedener zionistischer Vereinigungen oft den Vorsitz im jeweiligen Lagerrat innehatten. Einige amerikanische jüdische Organisationen, wie die ORT (Organization for Rehabilitation through Training) und die HIAS (Hebrew Immigrant Aid Society), boten außerdem Berufsausbildungskurse an, bei denen die LagerbewohnerInnen Qualifikationen für einen späteren Start in Palästina erwerben konnten. Dies war insofern wichtig, als dass viele durch die Verfolgung während des NS-Terrors ihre Ausbildung unterbrechen hatten müssen bzw. ihnen eine solche verwehrt geblieben war.
Neben dem Zionismus und der Vorbereitung auf eine Auswanderung nach Palästina gewann in den Lagern auch die Überlebensphilosophie des „Mir szeinen doh“ an Einfluss. Verbunden war damit die Hoffnung auf eine neue jüdische Zukunft, auf eine Welt, in der sich eine Tragödie wie die Shoah nicht mehr wiederholen könne. Ein Ausdruck hiervon war der besondere Fokus auf jüdische Kultur: DP-Lager entwickelten sich zu kulturellen Zentren, Zeitungen und Theatergruppen entstanden. Außerdem fanden häufig Konzerte, Lieder- und Rezitationsabende sowie Artistenvorstellungen statt. Aufgrund von Platzmangel requirierten die amerikanischen Besatzungsbehörden deshalb auch Räumlichkeiten des Mozarteums für die DPs, die ihnen ein als provisorisches Gotteshaus, als Massenversammlungsstätte, als Hörsaal für Vorträge und als Ort geselligen Beisammenseins, wie zum Beispiel für Sederabende anlässlich des Pessachfestes dienten.
- Thomas Albrich (Hg.), Flucht nach Eretz Israel Die Bricha und der jüdische Exodus durch Österreich nach 1945, Österreich-Israel-Studien, Bd.1, Innsbruck 1998.
- Helga Embacher, Neubeginn ohne Illusionen, in: Marko M. Feingold (Hg.), Ein ewiges Dennoch. 125 Jahre Juden in Salzburg, Wien / Köln / Weimar 1993, 285-336.
- Helga Embacher, Die Salzburger jüdische Gemeinde von ihrer Neugründung im Liberalismus bis zur Gegenwart, in: Dies. (Hg.), Juden in Salzburg. History, Cultures, Fates, Salzburg 2002, 38-66.
- Stan Nadel, Ein Führer durch das jüdische Salzburg, Salzburg 2005.
- Susanne Rolinek, Jüdische Lebenswelten 1945-1955. Flüchtlinge in der amerikanischen Zone Österreichs, Innsbruck 2007.
- Über die Berge dem Gelobten Land entgegen − Alpine Peace Crossing, Schriftenreihe des Landespressebüros, Dokumentationen Nr. 117, Mai 2008.