Nachbarschaft als Schutz vor Gewalt
Stadt bringt Projekt „StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt“ nach LehenNicht erst seit dem mittlerweile 30. Frauenmord heuer in Österreich weiß man, dass Gewalt gegen Frauen meistens vom Partner ausgeht und in den eigenen vier Wänden stattfindet. Vieles bekommen die unmittelbaren Nachbar:innen oft unfreiwillig mit. Das Projekt „StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt“ setzt genau dort an: Es soll Nachbar:innen ermutigen, hinzusehen, wenn sie Gewalt wahrnehmen und dementsprechend zu handeln. Denn Gewalt ist keine Privatsache.
Stadt Salzburg eine der ersten „StoP-Kommunen“
Nach Wien/Margareten wird die Stadt Salzburg mit dem Stadtteil Lehen das Konzept federführend als eine der ersten Kommunen in Österreich zur Umsetzung bringen. Voraussetzung dafür war eine Sozialraumanalyse im Stadtteil, welche von BWS Lehen-Mitarbeiterin Andrea Hohenwarter durchgeführt wurde. Durch ihre langjährige Arbeit als Sozialarbeiterin ist sie den Menschen im Stadtteil als Vertrauensperson bekannt. Ein großer Vorteil, denn Ziel von „StoP“ ist es, die Bewohner:innen zu motivieren, selbst aktiv tätig zu werden.
Gewalt ist keine Privatsache
„Gewalt in der Partnerschaft kommt in allen gesellschaftlichen Schichten vor. Betroffen sind vor allem Frauen und Kinder. Viele sprechen nicht über ihre Erfahrungen, sei es aus Angst, Scham oder Unsicherheit. Oder viele glauben, es sei reine Privatsache. Wir wollen dazu ermutigen, sich Hilfe zu holen oder zu geben. Das Projekt zeigt, wie eine gute Nachbarschaft Schutz vor Gewalt bieten kann. So können wir ganz konkret tätig werden und Gewalt aktiv verhindern“, ist Sozialstadträtin Anja Hagenauer überzeugt. „StoP ist nun eine weitere Maßnahme neben der kontinuierlichen Arbeit die das ganze Jahr über stattfindet“, so Hagenauer weiter.
„Nachbar:innen sind oft nah am Geschehen. Sie können helfen. Das kann ganz unterschiedlich aussehen: Wenn Sie es sich zutrauen, können Sie das nächste Mal an der Nachbarstür klingeln und nach Zucker fragen, wenn sie lautes Geschrei hören. So kann ein potentiell gefährlicher Streit oft unterbrochen werden. Oder sie sprechen die Nachbarin beim nächsten Mal sogar direkt an, geben ihr den StoP-Flyer oder fragen ob sie Hilfe braucht“, so StoP-Ansprechpartnerin Andrea Hohenwarter.
Netzwerke und Aktionsgruppen
Das StoP-Projekt schließt die Lücke zwischen professionellen Hilfsangeboten, wie beispielsweise den Gewaltschutzzentren, und den Betroffenen, durch die direkte Arbeit vor Ort, in der Nachbarschaft, im Gemeinwesen. Bei nachbarschaftlichen Aktionsgruppen finden sich Menschen zusammen und sprechen über das Thema Partnergewalt. Bei Frauen- und Männertischen können die Menschen über ihre eigenen oder beobachteten Gewalt-Erfahrungen sprechen und sich einbringen. Ziel ist es, dass diese Aktionsgruppen mit Unterstützung am Ende selbst Handlungsschritte erarbeiten. Eine weiterer Haupt-Aspekt: Durch das Sprechen über das Tabu-Thema Gewalt wissen die Menschen im Stadtteil, wo sie sich hinwenden können, wenn sie Opfer oder Zeuge von Gewalt werden. Gestartet wird ab sofort mit einer Gruppe von acht Frauen.
Was Nachbar:innen tun können
- Grundsätzlich: Nicht erst in Akut-Situationen eingreifen, sondern schon früher
- In einer akuten Situation die Polizei unter 133 anrufen
- Bei Verdacht auf Gewalt, betroffene Frauen und Kinder im Haus, auf dem Gang, oder im Garten direkt ansprechen
- Bei Lärm aus der Nachbarwohnung einfach anläuten und nach Zucker oder Milch fragen
- Bei der Frauenhelpline 0800 222 555 anrufen und sich bei Verdacht auf Gewalt beraten lassen
- Sich über StoP informieren und mitarbeiten
Gewaltschutz der Stadt endet nicht nach 16 Tagen
„Bis 10. Dezember laufen viele Initiativen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Die Stadt startet mit ‚StoP‘ ein neues Projekt und führt zudem bestehende weiter, denn der Kampf gegen Gewalt darf nicht nach 16 Tagen enden“, so Anja Hagenauer.
Runder Tisch Gewaltschutz
Bei insgesamt sechs Terminen kamen Beratungseinrichtungen und Institutionen seit Anfang 2020 zusammen um sich auszutauschen, zu vernetzen und Maßnahmen zu entwickeln. Denn: Zeitgemäßer Gewaltschutz braucht die Mithilfe aller. Gemeinsam mit den fachspezifischen Einrichtungen in der Stadt Salzburg sollen Schritt für Schritt Konzepte und Maßnahmen zum Gewaltschutz implementiert werden.
Erste Maßnahmen umfassten eine breit angelegte Sensibilisierungskampagne und ein „Gewaltschutz-Paket“ für Schüler und Lehrer, dass an 84 Schulen und 109 Einrichtungen in der Stadt Salzburg versandt wurde. Siehe Stadt Salzburg - Ein Paket gegen Gewalt für Salzburgs Schulen (stadt-salzburg.at)
Im Oktober dieses Jahres waren Kinderschutzkonzepte in Einrichtungen der Schwerpunkt. Im Moment wird daran gearbeitet, ein stadtübergreifendes Präventionskonzept, das private und öffentliche Institutionen verbinden soll, zu implementieren. Etappenziele auf diesem Weg sind Präventions- und Schutzkonzepte, die für Kindergärten, Schulen und Vereine einfach adaptierbar und praktikabel sind.
After Work Basics: Ist Ihre Organisation ein sicherer Ort?
Gemeinsam mit der Fachstelle Selbstbewusst gibt es daher auch 2022 wieder die Online-Fachvortragsreihe „After Work Basics“. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt bei der Vermittlung von Kinderschutz- und Gewaltschutzkonzepten für Organisationen. „Es gibt noch immer viel zu wenige pädagogische, freizeitpädagogische, sportliche und kirchliche Einrichtungen, die mit einem Konzept professionell zum Schutz von Kindern vor Gewalt beitragen“, sagt Gabriele Rothuber von der Fachstelle Selbstbewusst. Alle Institutionen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, müssten einerseits zum Kompetenzort werden, wenn es um häusliche Gewalt geht und andererseits aber auch dafür Sorge tragen, dass sie selbst sichere Orte für ihre Zielgruppen sind. Das sei für manche Organisationen noch ein anstrengender Weg - Kinderschutz sei jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, so Rothuber.
Pixi-Buch über Gewalt im Netz
Die heurige Jugendstudie der Stadt umfasste eine breite Palette von Themen. Eines der Ergebnisse: Hass im Netz hat stark zugenommen. Mädchen sind davon öfter betroffen als Burschen. Um auch während des Lockdowns Hilfe und Lösungen anzubieten, wie man sich aktiv wehren kann, gibt es demnächst im Team Vielfalt das Pixi-Buch „Mädchen im Netz“. Darin finden sich „reale“ Alltagssituationen, wie sie wahrscheinlich schon vielen Mädchen passiert sind. Tipps von Expertinnen gehen darauf ein und zeigen, wie man reagieren soll oder wo es rasch und unbürokratisch Beratung gibt. Digitalisierung bietet viele Chancen, sie birgt aber auch Gefahren. Überholte Rollenbilder und Klischees über Frauen und Männer setzen sich im Internet fort.
Es ist wichtig, dass Mädchen und junge Frauen unterstützt werden, wenn sie mit Sexismus, Cybermobbing oder Hass im Netz konfrontiert sind. „Wir wollen Mädchen in ihrem Selbstbewusstsein stärken und sie informieren“, sagt Alexandra Schmidt vom Team Vielfalt/Schwerpunkt Frauen.
AWB und Pixi-Buch
Christine Schrattenecker