Bernd Petertill
Interview mit Bundesrettungsrat Bernd Petertill
im Rahmen des Buchprojekts „Die große Flucht“
Landesrettungs-Kommandant-Stellvertreter des Roten Kreuzes Salzburg
Datum: 11. Juni 2019
Ort: Stadtarchiv Salzburg
Dauer: 00h 29min 22sec (1 Track)
Interviewer: Dr. Heinz Schaden
HS = Heinz Schaden (Interviewer)
BP = Bernd Petertill
TRANSKRIPT DES INTERVIEWS
[Ergänzungen in eckigen Klammern wurden bei der Transkription vorgenommen und dienen dem besseren Verständnis.]
HS: Aus deiner Sicht: Warum ist es damals zu dieser ‚Völkerwanderung’ gekommen – wir haben ja 350.000 Menschen alleine in Salzburg in Transit gehabt. Was waren so die Ursachen, wie war die Stimmung damals?
BP: Ja, die Ursachen – ganz klar, nicht, religiöser Grundlage, einerseits, aber auf der anderen Seite auch sicherlich wirtschaftliche, und auch politische – Bürgerkrieg in Syrien war eigentlich das Ausschlaggebende, dass diese Fluchtbewegung eingesetzt hat. Da haben sich halt ein paar andere auch noch daran angeschlossen, aber die ursprüngliche Ausgangslage war schon der Bürgerkrieg, der zu dem Zeitpunkt ja schon, glaube ich, fast zwei Jahre gedauert hat.
HS: 2011 ist der sogar schon losgegangen.
BP: Ja, [20]11 war das, genau, richtig, also vier Jahre.
HS: Arabischer Frühling war 2010, 2011 ist es dann in Syrien losgegangen.
BP: Ja, da sieht man, wie schnell die Zeit vergeht. Ja, und, ich denke mir einmal, vor dieser Flüchtlingswelle, die uns da, sage ich einmal [denkt nach] unvorbereitet getroffen hat – obwohl es aus meiner Sicht nicht hätte sein müssen, weil ja ganz eindeutige Anzeichen da waren – war, hat es natürlich immer wieder irgendwelche Diskussionen gegeben, die die Flüchtlingsbewegungen betroffen haben. Wir selber als Landesverband des Roten Kreuzes waren ja nicht zum ersten Mal mit solchen Situationen beschäftigt oder befasst. Anfang der 1990er Jahre, die Ex-Jugoslawien-Krise, [da] haben wir ja auch hier bei uns in der ehemaligen Kaserne Riedenburg eine Flüchtlings-Betreuungs-Einrichtung in Betrieb genommen, bis das Ärgste vorbei war. Ja, das war so die Stimmung.
HS: Wann waren die ersten Anzeichen hier in Salzburg, auch für das Rote Kreuz, erkennbar? Oder vielleicht können wir es ein bisschen verknüpfen mit der Frage – es hat ja damals diese dramatische Situation am Ostbahnhof in Budapest gegeben, die dann eben medial sehr stark transportiert wurden, und dann eben der LKW mit den …
BP: Mit den 70 Toten, ja.
HS: Genau.
BP: Ja, also, natürlich haben wir da die mediale Berichterstattung, ist natürlich verfolgt worden, auch von unserer Seite – aber wie das dann wirklich aufgeschlagen ist, mit Parndorf und Westbahnhof – oder Ostbahnhof …
HS: Ostbahnhof Budapest.
BP: Ja, und dann der Westbahnhof …
HS: Bei uns …
BP: Bei uns in Wien, da sind natürlich unsere internen Netzwerke dann voll angesprungen, und da haben die, unsere Kollegen aus dem Burgenland und vom Landesverband Wien natürlich schon erste Informationen gegeben und auch gesagt „Also ihr könnt euch darauf vorbereiten, da kommt sicher was“. Aber, [wie] der erste Zug angekommen ist in Salzburg Hauptbahnhof, das war, ja, Überraschung pur. Da haben wir wirklich noch nicht damit gerechnet, der ist irgendwann einmal in der Nacht angekommen. Genau.
HS: Ich kann mich gut erinnern, das war, nach meiner Erinnerung, die Nacht vom letzten August[tag] auf den ersten Septembertag –
BP: Genau, richtig, ja.
HS: Und ich bin um, glaube ich, um 1 [Uhr] in der Nacht angerufen worden, und da waren auf einmal 1.000, 1.500 Leute am Bahnhof. Wenn es reicht.
BP: Richtig, genau.
HS: Da schließt sich die Frage an – wie bist du zum Bahnhof gekommen, später dann ASFINAG, Grenze zu Freilassing – das waren ja unsere drei Stationen innerhalb der Stadt.
BP: Richtig. Ja, ich war zu dem Zeitpunkt auch nicht in Salzburg und mein Stellvertreter-Bezirks-Kommandant, der Dr. Martin Huber, hat also den ersten Einsatz an diesem – ich glaube, [es] war Sonntag auf Montag, falls ich mich nicht täusche – hat diesen Einsatz übernommen und geleitet. Und da ist es also darum gegangen, dass man diese 1.500 aus dem Zug, einmal beurteilt, einmal schaut, was die brauchen, und das hat man also mit Notbetten und so weiter, das haben wir also dann in diesem Zusammenhang einmal für diese Nacht aufgebaut und organisiert – und die sind ja dann auch, am nächsten Tag in der Früh, mit dem nächsten Zug weiter gefahren. Das war jetzt einmal der, die erste Geschichte. Ich bin dann relativ schnell zurückbeordert worden, oder zurückgekommen, und nachdem sich herauskristallisiert hat, dass das also kein Einzelvorkommnis ist, sondern dass man da damit rechnen muss, und dass das also eine längere Geschichte wird, bin ich dann vom Präsidenten, vom Dr. Aufmesser, beauftragt worden, diesen Einsatz seitens des Landesverbandes Salzburg zu leiten. Ja, jetzt habe ich also einmal von Seiten der Einsatzführung bei uns im Haus einmal alles in die Wege geleitet, habe also ein Führungsteam zusammengestellt und, ja, habe also einmal geschaut, was wir – was alles nötig ist, was wir brauchen könnten, und so weiter. Verpflegung, Versorgung, medizinische Hilfeleistung, Grundversorgung – das hat sich dann relativ schnell alles eigentlich selber organisiert, ohne großartig – natürlich hat es schon Absprachen gegeben, aber es war zum Beispiel klar, dass eine Gruppe von Freiwilligen sich um die „Brause-Geschichten“ und [um] die Waschgelegenheiten gekümmert hat. Damit war für uns auch ein wichtiger Teil erledigt. Wir haben dann geschaut, dass die was zum Essen bekommen, dass sie sich hinlegen können, dass – und so weiter. Also, Vertretung unserer Organisation innerhalb des behördlichen Einsatzstabes, sag ich jetzt einmal, wo du ja als Bürgermeister die, der Gesamteinsatzleiter warst, war ein wichtiger Punkt, dass wir da permanent vertreten waren, und das hat sich eigentlich über die ganze Zeit durchgezogen, die Zusammenarbeit, das Zusammenwirken, das – jeder hat einen, seinen Teil übernommen und auch entsprechend verfolgt und umgesetzt. Hat natürlich auch – beruht sicherlich auch darauf, dass wir auch in, sage ich jetzt einmal, Friedenszeiten, sehr gut vernetzt sind, ob das jetzt Polizei oder Bezirks-, oder Ordnungsamt, Haybäck, Feuerwehr, Militär ist – man kennt sich untereinander, und damit war also eine, die Basis für eine gemeinsame Bewältigung der Gesamtsituation, die ja schlussendlich ja mehr als ein halbes Jahr gedauert hat, gelegt. Dann die Ausweitung „step by step“: Bahnhof – Tiefgarage, heroben Versorgungsstation, das Militär [ist] „step by step“ dazugekommen, die haben sich ja erst neu aufgestellt, die haben sich ein bisschen organisieren müssen, was die Verpflegung betroffen hat. Es war wirklich eine herausragende Leistung zum Beispiel dieser ‚helping hands’, der Muslims, die aus London gekommen sind mit einem Lastwagen, also die dann bei der ASFINAG draußen eigentlich sichergestellt haben, dass die Leute die Verpflegung bekommen haben, die für ihren Kulturkreis genau gepasst hat. Und, unterm Strich muss man ganz ehrlich sagen, sicher hat es ein paar Missverständnisse gegeben – ich sage das jetzt einfach so, weil es hat keine Streitereien gegeben, sondern es hat einfach Missverständnisse gegeben – man kann halt mit einem, mit ungekochten Teigwaren kann man die Leute nicht versorgen. Und man kann auch, es ist auch nicht sehr hilfreich, wenn man zum Beispiel jedem ein Päckchen naturtrüben Apfelsaft in die Hand drückt – solche Geschichten halt, muss man ganz klar sagen. Aber es war wirklich eine, ja, es war eine wirkliche Herausforderung, auch für uns personell, muss man ganz klar sagen.
HS: Mhm. Weil wir gerade ein bisschen über die Missverständnisse gesprochen haben – wo hat es Missverständnisse, vielleicht auch Konflikte gegeben mit anderen Helfern, mit den Flüchtlingen, innerhalb der Gruppen der Flüchtlinge, die ja mit der Zeit sich verändert haben von der Zusammensetzung, von der Herkunft?
BP: Ja, also die Konflikte innerhalb der Flüchtlinge, da können wir eigentlich nicht sehr viel dazu sagen, das haben wir nur irgendwo immer ein bisschen so am Rande mitbekommen, wenn die Polizei etwas berichtet hat. Aber in unserer Arbeit ist uns das überhaupt nicht aufgefallen, weil die sind einzeln versorgt worden, die irgendein Problem gehabt haben. Wir haben ja in Summe – wie viele waren das, ich glaube 35.000 medizinische Hilfeleistungen gehabt. Also, wenn man jetzt sagt 350.000 sind grundversorgt worden, die haben alle etwas zum Anziehen bekommen, etwas zum Essen bekommen, etwas zum Trinken bekommen, einen Schlafplatz bekommen – sofern notwendig, aber es waren viele dabei, die haben ein gesundheitliches, echtes Problem gehabt, und das waren 35.000, wo wir da intervenieren mussten, und wir mussten, glaube ich, auch über 800 Personen ins Krankenhaus bringen. Also das [was] also ambulant nicht mehr gegangen ist.
HS: Mhm, das ist interessant, die Zahlen, für mich, weil das habe ich – also, wie viele Menschen eine medizinische Hilfeleistung gebraucht haben, das ist bis dato noch nicht angesprochen worden, das finde ich jetzt sehr interessant, weil das [sind] 10 Prozent eigentlich, Daumen mal Pi, und 800 in stationärer Pflege, das ist eine hohe Zahl, eigentlich. Wenn man bedenkt, dass ja die Krankenhäuser doch ganz gut ausgelastet sind, respektive dass man ja mitunter ja sogar auf Termine warten muss – also das waren wirklich Akutfälle, die …
BP: Das waren Akutfälle.
HS: Die sie nebenbei noch betreuen mussten, in irgendeiner Form. Du hast schon angesprochen, dass die Leute gut zusammenarbeiten oder gut zusammengearbeitet haben – das ist auch bisher immer wieder so angesprochen worden von anderen Vertretern, mit denen ich gesprochen habe, und deswegen jetzt vielleicht noch einmal zusammengefasst: Es haben ja viele zusammengearbeitet, nicht, also die Behörden, die Gebietskörperschaften, fangen wir so an, Stadt, Land, Bund, dann Polizei, Rotes Kreuz, Bundesheer, andere Einsatzorganisationen – und dann eben der große Bereich der Zivilgesellschaft. Wie hast du das in Erinnerung?
BP: Naja, wie soll ich sagen – etwas geteilt. Weil, es waren sehr positive Aspekte dabei, es waren aber auch negative dabei. Und je länger der Einsatz gedauert hat, desto weniger hat man von der Zivilgesellschaft dann eigentlich gemerkt. Wir haben als Rotes Kreuz unterhalten, das Programm [denkt nach] ‚Team Österreich’, das vor ein paar Jahren einmal aus der Taufe gehoben wurde, für alle möglichen Geschichten, Niederösterreich, mit Hochwasser, und so weiter. Und über diese Plattform ‚Team Österreich’, wo wir also in Salzburg auch etliche hundert Mitglieder haben, waren [es] also 226 Personen, die über den ganzen Zeitraum hier ihren Beitrag geleistet haben. Die bei der ASFINAG draußen, oder auch am Bahnhof die Leute mit betreut haben. Das ist das, was mir sehr, sehr positiv aufgefallen ist. Das was nicht so positiv war, das habe ich zuerst eh schon kurz angesprochen, also – man hat also teilweise auch diese Situation genutzt, um daheim die Speisekammer auszuräumen und den Kleiderschrank auszuräumen, und das Zeug einfach irgendwo hin gebracht hat und hingestellt hat. Aber da kann wahrscheinlich der Vertreter der Caritas da sicherlich mehr dazu sagen. Wir haben die Auswirkungen nur dort gemerkt, wo es dann auch Auswirkungen auf die Leute gehabt hat. Und, ja, das war, wie soll ich sagen – wir haben es gemeinsam, trotz allem und auch mit gemeinsamen Gesprächen, das haben wir immer wieder auf die richtige Schiene gebracht.
HS: Wie beurteilst du, jetzt im Rückblick, die Infrastruktur, die man ja auch improvisieren musste, von der Tiefgarage [lacht] über das Essen, über die ASFINAG – das war ein Bauhof und keine Flüchtlingsunterkunft – bis hin zur Grenze, wo [wir] die alten Zollhäuser wiederbelebt haben.
BP: Ja, richtig. Schlussendlich, unterm Strich, kann man sagen, also, es hat jeder versucht, das Beste daraus zu machen. Es gibt halt einmal vorgegebene Strukturen und Baulichkeiten, die man aufgrund dieser außergewöhnlichen Situation einfach so genutzt hat – und das war jetzt völlig egal, ob das das Finanzamt, bzw. die Zollbehörde war, draußen am Grenzübergang Freilassing, oder die Tiefgarage – natürlich kann man sich was Besseres auch vorstellen, aber die Blockhäuser sind erst nachher gekommen. Also in der akuten Situation, damit die Leute nicht auf der Straße stehen oder doch zumindest ein Dach über dem Kopf haben, war das sicherlich in Ordnung. Es ist auch nichts urgiert worden, es ist nichts reklamiert worden von den Leuten. Die waren alle wirklich sehr froh, dass man sich da darum gekümmert hat. Und in der ersten Phase, wo wir noch keinen Stau an der Grenze gehabt haben, war ja die Aufenthaltsdauer nicht sehr lang, die waren vielleicht maximal 24 Stunden da, und dann sind sie rüber gegangen. Aufgestaut hat sich die Geschichte erst, nachdem die Deutschen schön langsam den Hahn etwas zugedreht haben. Da waren dann die Leute in der ASFINAG, und da waren natürlich die Voraussetzungen wieder andere als am Bahnhof, und, ja, das würde ich so sehen.
HS: Gibt es einzelne Personen, die dir besonders in Erinnerung sind? Ich meine die Frage jetzt auch ganz bewusst nicht irgendwie politisch oder hierarchisch oder sonst – aber gibt es einfach Leute, wo du dir gedacht hast „Das überrascht mich jetzt“, zum Beispiel, „dass ich den da sehe“, oder „Der hat einen positiven Eindruck, im Vergleich zu früher, hinterlassen“, oder irgend so was [beide lachen].
BP: Ja, also, aus meiner Sicht und in meiner Rolle habe ich eigentlich ja alle gekannt. Weil ich weiß, dass der Lindenthaler und der Huber Andi Stadtpolizeikommandanten sind, also der eine, und der andere ist ja Stellvertreter, [ich] kenne den Reinhold Ortler, ich kenne den Heinz Hufler seit 40 Jahren, und ich habe natürlich auch dich gekannt, ich habe den Preuner Harry gekannt, ich kenne den Haybäck, ich kenne den Martin Floss. Also ich habe eigentlich alle handelnden Personen – [den] Schwaiger habe ich da kennen gelernt, sozusagen – ich meine, ich habe ihn schon gekannt, aber ein bisschen näher kennen gelernt – ja, den Landeshauptmann natürlich, selbstverständlich auch, und wir haben uns halt bemüht, dass wir [das], was wir in diesen Stabsbesprechungen festgelegt haben und ausgemacht haben, auch entsprechend so, auch zeitnah, umgesetzt haben. Ja, und es hat natürlich die eine oder andere Herausforderung gegeben, aber wir haben sozusagen im Schlepptau, in der Gesamtverantwortung haben wir jetzt zum Beispiel die Kollegen vom Malteser-Hospitaldienst mit dabei gehabt, die haben wir mit eingebunden, wie auch den Arbeiter-Samariter-Bund – diese ganze Geschichte, die die Versorgung betroffen hat, ist bei uns zentral abgewickelt worden. Wir haben irgendwas um die dreieinhalb Tausend Mann-Tage gehabt, mal 24 Stunden. Nur für diese Aufgabe. Nach hinten hinaus, Anfang März dann, ist ja das immer weniger geworden, da haben wir ja nur mehr, was weiß ich, acht oder zehn Leute im Einsatz gehabt, aber so, Anfang – Ende Oktober, Anfang November – da haben wir also Tage dabei gehabt, wo wir 150 Leute am Bahnhof und in der ASFINAG im Einsatz gehabt haben.
HS: Das sind interessante Zahlen, weil die habe ich bis jetzt noch nicht so deutlich gehört, weil offensichtlich die Aufzeichnungen nicht überall so exakt geführt werden wie beim Roten Kreuz. Wenn du sagst, also, die 3.500 Mann-Tage á 24 Stunden – aber das, das macht es ja deutlich, was das für ein Aufwand – oder das vom ‚Team Österreich’, 226 Leute, das, also – da bin ich sehr dankbar und sehr froh, weil das macht es auch ein bisschen begreifbar in Zahlen. Und es war ja alles – ich sage es mal so – nicht geprobt und nicht geplant, sondern aus der Situation heraus hat sich das entwickelt.
BP: Richtig, ja genau. Wir haben dann auch sicherlich einmal einen leichten Knick im Organisationsablauf gehabt, nämlich zu dem Zeitpunkt, wo man umgestellt hat und [begonnen hat,] die Flüchtlinge vom Karawankentunnel oder von Spielfeld mittels Bus herauf zu bringen, das war dann eigentlich nur mehr sehr, sehr schlecht planbar, weil das einfach mit den, die Informationsschiene nicht mehr gestimmt hat. Es ist nicht das angekommen, was geplant gewesen wäre, und auch von der Anzahl her nicht. Und ja, ich möchte da jetzt gar nicht auf Ursachenforschung gehen oder auf irgendwelche Schuldzuweisungen, aber das waren wirklich Transitflüchtlinge. Weil die haben sie da unten unversorgt hineingesetzt in einen Autobus, und die waren dann da mit einem echten Problem, weil die waren teilweise dehydriert, die haben nichts zum Trinken gehabt und so weiter und so weiter. Also, ich möchte da jetzt niemandem irgendwas zuweisen, aber das waren, das war ein Faktum, dass wir da Autobusse bekommen haben, die haben schon seit drei Tagen nichts mehr gegessen und die hatten kein Wasser, und die waren nicht so sehr gut beisammen.
HS: Ich kann mich an das gut erinnern, das war wirklich, nämlich schlecht einschätzbar, wie viele Leute kommen mit den Bussen, und wann kommen die. Und wie sind die beisammen. Also das, an das kann ich mich auch sehr, sehr, sehr gut erinnern. Jetzt, wenn man in die Zukunft denkt – glaubst du, dass sich so eine Situation wiederholen kann? Ich meine, wir haben zwischenzeitlich viel erlebt, dass auf der so genannten Balkanroute natürlich die Grenzen so nach und nach von allen Staaten, die an der Route liegen, zum Teil sogar befestigt wurden, also zumindest jetzt einmal, was Barrieren betrifft, Zäune etc., es gibt politische Abkommen, EU-Türkei zum Beispiel – aber glaubst du, kann sich so ein Ansturm wiederholen? Gibt es einen Druck im Hintergrund, in Afrika, in Asien – Hunger, kriegerische Auseinandersetzungen?
BP: Das gibt es auf jeden Fall. Nur, die Barrieren sind halt jetzt so aufgebaut, dass es wahrscheinlich länger dauert, bis jemand durchkommt, aber, und auch nicht in dieser, in dieser Masse. Aber die Ursachen sind nach wie vor da, ganz klar, und da spielt sicherlich auch der Klimawandel eine sehr wesentliche Rolle, in Afrika – da muss man sich sicherlich irgendwann einmal damit beschäftigen.
HS: Ich glaube, von dem werden wir noch viel hören in der Zukunft, vom Klimawandel, meine ich jetzt, und dem was sich...
BP: Ja, richtig.
HS: Hat sich, für dich betrachtet, Europa in der Zeit danach, also nach 2015, verändert? So in der Haltung, in der Politik – ich meine jetzt ganz bewusst nicht Parteipolitik – Hinweis, der Brexit war ja ganz maßgeblich auch von dieser Flüchtlingskrise – oder das Votum, oder der Ausgang dieses Votums – beeinflusst, obwohl in England an sich nichts zu spüren war.
BP: Also, es hat sich auf jeden Fall etwas geändert. Das beste Beispiel ist die Bundesrepublik, die Merkel ist also definitiv unter Druck gekommen, also der legendäre Satz „Wir schaffen das“, der hat sich zwar bewahrheitet, aber unter welchen Bedingungen, oder politischen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik, was sich da jetzt in den, bei den Wahlen alles geändert hat, sei das jetzt so Land-, von den Bundestagswahlen über Landtagswahlen, usw., usw. Also, ohne jetzt irgendeine politische Aussage treffen zu wollen, es hat auf jeden Fall einen Rechtsruck gegeben. Auf jeden Fall, und das war der Auslöser. Das muss man sagen, also, und das kann man auch sagen, das ist so.
HS: Ich glaube, das sehen die meisten, die das, also, erstens miterlebt haben und zweitens die Zeit davor und danach gesehen haben, sehen das so.
BP: Das ist richtig, ja.
HS: Wenn du ein persönliches Resümee ziehst, wie würdest du das zusammenfassen, respektive, wenn du heute Entscheidungsträgern, egal auf welcher Ebene, Bund, Land, Gemeinden, internationale Organisationen, einen Ratschlag geben würdest, was würdest du sagen?
BP: Ja, das ist eine sehr schwierige Frage. Weil die Zeit bedingt ja eigentlich, dass sich eigentlich, ja, keiner irgendeinen Ratschlag geben lassen will. Es hat jeder den Anspruch, dass er sagt, er weiß sowieso alles und [lacht] ja, wir sind die Besten und so weiter. Also nach diesem Motto. Aber ich glaube, das Wichtigste ist, dass man, wenn solche Situationen auftreten, die Menschlichkeit und vor allen Dingen auch die Menschenwürde berücksichtigt. Wenn man nach dem vorgeht, dann kann man nicht so schief, oder so falsch liegen. Weil, das umfasst Einiges, im Gesamtpaket des Verhaltens. Wie man mit jemandem verfährt. Und das ist, glaube ich, das Allerwichtigste, die Menschenwürde und die Menschlichkeit als Solches. Wenn man das berücksichtigt, dann kann man auch größere Herausforderungen sicher gemeinsam – immer wieder gemeinsam, weil gemeinsam ist man stark – bewältigen. Also ich habe sehr, sehr viel gelernt in diesem halben Jahr.
HS: Danke, ich glaube, das war jetzt ein richtig schönes Schlusswort. Danke dir.
BP: Gerne.
Transkript erstellt von Katharina Steinhauser