Heinz Hufler

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Heinz Hufler


Interview mit Brigadier Heinz Hufler
im Rahmen des Buchprojekts „Die große Flucht“

2015 Militärkommandant für Salzburg

Datum: 6. Mai 2019
Ort: Stadtarchiv Salzburg
Dauer: 00h 37min 02sec (1 Track)
Interviewer: Dr. Heinz Schaden

HS = Heinz Schaden (Interviewer)
HH = Heinz Hufler

 

 

 

TRANSKRIPT DES INTERVIEWS
[Ergänzungen in eckigen Klammern wurden bei der Transkription vorgenommen und dienen dem besseren Verständnis.]


HS: Was glaubst du, was war die Ursache dieser Art ‚Völkerwanderung’, die wir im Jahr 2015, im Herbst, erlebt haben, wo da auf einmal, also in kurzer Zeit, 350.000 Leute in der Stadt Salzburg waren und durch die Stadt gingen?

HH: Ich denke, dass sich das natürlich schon längere Zeit entwickelt hat, sogar wahrscheinlich 20 Jahre davor, als die große Kommunikationsentwicklung in die Welt gekommen ist, mit den Satellitenanlagen, mit den Internetanbindungen, wo man in der ganzen Welt, an allen Ecken und Enden gesehen hat, wie es im Wohlstand, in der westlichen Welt ausschaut. Ich bin viel herumgereist, viel herumgekommen – was es überall gegeben hat, waren Sat[elliten]-Schüsseln. Sonst war Armut, aber Sat[elliten]-Schüsseln hat man überall gesehen. Also das war sicherlich auch ein Punkt, wo die Welt viel kleiner geworden ist und wo Leute, die in Armut gelebt haben, oder in der dritten Welt gelebt haben, wo der Wohlstand nicht so ausgeprägt war, in Afrika, gesehen haben, also, wie das Leben in einer anderen Welt ausschaut – das war meiner Meinung nach schon ein sehr wesentlicher Aspekt, der hier gewirkt hat. Und dann ist natürlich noch das Thema Kriege. Kriege, Verfolgung, Flüchtlinge – der letzte Höhepunkt war natürlich auch der Syrien-Konflikt, der hier gewirkt hat, aber auch der Afghanistan-Konflikt, der ja seit Jahrzehnten brennt, und wo sich die großen Nationen abgewechselt haben in [der] Bekämpfung dieses Konflikts – die Frage ist, ob er nicht angefeuert wurde – und hier natürlich auch entsprechende Flüchtlingsströme sich entwickelt haben. Und ein weiterer Aspekt, der dazukommt, sind natürlich die lokalen, zeitlich begrenzten Kriege am Balkan, wo schon die ersten Flüchtlingsbewegungen nach Mitteleuropa waren, wo es natürlich -  bzw. auch die Situation der Gastarbeiter in den 1960er Jahren in Österreich, wo also Tausende von Familien nach Österreich geholt wurden, um hier zu arbeiten. Ich erinnere mich, was in den Schifabriken an Gästen, an Ausländern gearbeitet haben – hier ist natürlich ein Zuzug gekommen, da ist die zweite und dritte Generation jetzt auch hier. Und der wesentlichste Aspekt, dass das so hereingebrochen ist im Jahr 2015, denke ich, ist auch die demographische Entwicklung in Mitteleuropa, dass die Bevölkerungszahlen so zurückgehen, vor allem die Jugendlichen, dass die Fachkräfte fehlen, die Arbeiter fehlen, dass der Konsum natürlich, wenn keine Menschen mehr da sind, dass der Konsum zusammenbricht – und so denke ich, dass der ganze Mix aus diesen Dingen zu dieser Entwicklung geführt hat, und die politische Aussage natürlich der Bundeskanzlerin Merkel – „Welcome“ – hat das natürlich noch angefeuert. Aber ich denke auch, dass sie da nicht schlecht geschlafen hat, sondern dass sie sehr wohl mit Kalkül agiert hat. Dass das dann so, sich so entwickelt hat, war vielleicht nicht zu erwarten, aber durchaus gewollt, dass viele Menschen nach Europa kommen.

HS: Ich glaube ja, dass das zum Teil auch ein Missverständnis war, weil sie vielleicht damit gerechnet haben, dass die, die schon auf der Flucht sind, kommen. Aber dass dann hinten nach auf einmal so viele kommen, das war dann vermutlich eine Fehleinschätzung.

HH: Natürlich. Das war eine Fehleinschätzung des Ganzen, dass das dann explodiert ist. Aber man hat gesehen, also wie viele Leute ‚ante porta[s]’ stehen und die Chance genutzt haben.

HS: Genau. Wie würdest du diese Stimmung unmittelbar vor diesem großen Ansturm der bei uns in Salzburg – nach meiner Erinnerung so mit 1. September dann eingesetzt hat, da hat es ja schon Anzeichen gegeben, das Innenministerium hat das [Hotel] Kobenzl angemeldet, glaube ich schon im Frühjahr, es hat dann diese fürchterlichen Geschichten, Parndorf gegeben, mit den 71 Toten – wie würdest du die Stimmung in Österreich – also unmittelbar, bevor dann so der große Ansturm gekommen ist, der auch dich und das Bundesheer stark gefordert hat, beschreiben?

HH: Na ja, also bei uns ist das, beim Bundesheer, bei [der] Militärkommandant[ur] Salzburg, hat das Anfang August bereits begonnen. Wir wurden Anfang August, das war ein Freitag, ich weiß jetzt das Datum nicht mehr genau, es war, glaube ich... ja, der 7. August, Freitag 7. August, ist am Nachmittag der Auftrag an das Militärkommando Salzburg gekommen, im Süden der Kaserne, in der Schwarzenberg-Kaserne im Süden ein Flüchtlingslager zu errichten für ca. 400 Flüchtlinge. Das war [der] 7. August, ich war damals auf Urlaub, das weiß ich noch, am Mondsee war ich, und da hat mich der Anruf ereilt. Und ich bin dann gleich ins Militärkommando hinein [gefahren], bzw. am Samstag haben wir dann mit dem Bürgermeister von Wals und mit meinem Stab so die erste Besprechung [gehabt], und, sagen wir so, das war die erste Berührung mit der bevorstehenden Situation. Es war wieder typisch, es war Freitag, die Pioniere haben schon dienstfrei gehabt, sie wurden dann mit unserem Rückholsystem zurückgeführt, und das Lager ist am Samstag in der Früh gestanden. Also es war operationell [am] Samstag in der Früh gestanden und am 10. August, also am Montag, sind dann die ersten 40 Flüchtlinge bereits in dieses Lager in der Schwarzenberg-Kaserne eingezogen. Da sind also die Telefone übers Wochenende heiß gelaufen – wer versorgt, wer verpflegt, wer macht [die] Sicherheit, wer kümmert sich, Sani[täts]-Versorgung, also das war alles noch ungeklärt, und so sind wir also in diese Situation da hineingeraten.

HS: Das heißt, eigentlich sind die Vorboten etwa einen Monat vorher, aus deiner Sicht, wahrnehmbar gewesen. Schon Anfang August.

HH: Ja, von uns aus, dienstlich gesehen, ein Monat vorher, also 7. August, wo das Ganze sich dynamisiert hat und entwickelt hat. Ich denke auch – das sage ich auch ganz offen – dass die Situation für die Republik schon viel früher erkennbar gewesen ist. Und man hat ja auch gelesen, dass vor dieser Entwicklung auch politische Stellen – ich will jetzt nicht sagen gewarnt – aber dass sie hingewiesen wurden, dass also hier [eine] große Flüchtlingsbewegung über den Balkan sich entwickelt.

HS: Ich habe dich ja dann, oder bzw. die Vertreter des Bundesheeres, sehr rasch am Bahnhof agieren gesehen – wie war – also wie gesagt, wir sind als Stadt dann Anfang September so richtig in die Ziehung gekommen, wie halt die ersten großen Ankünfte am Bahnhof waren – wie hast du die Situation dort erlebt, oder wie ist – ihr wart eigentlich gleich einmal vor Ort.

HH: Unsere Auftragslage war zweigeteilt. Das war in erster Linie der sicherheitspolizeiliche Assistenzeinsatz gemäß Wehrgesetz, wo wir der Polizei unterstellt wurden – das war aber erst am 10. August so in etwa – und vorher war die humanitäre Hilfe angesagt. Das sind also diese zwei Aufgabenbereiche, und am Anfang stand also die humanitäre Hilfe im Vordergrund. Da habe ich als Kommandant ‚freihändig’ sozusagen agiert, weil noch nichts organisiert war – man kennt ja das beim Militär, alles muss ‚durchgestylt’ werden. Der Vorteil war für mich, dass da noch nichts ‚durchgestylt’ war und dass ich hier Kraft meiner eigenen Beurteilung, Kraft meines Gefühls, Kraft der Gespräche mit dir, Herr Bürgermeister, oder mit den anderen Organisationen, Rotes Kreuz etc., die humanitär tätig waren, dass ich hier agieren konnte. Und das Positive war, dass also alle Kräfte des Bundesheers in Salzburg, aber auch der anderen Organisationen, sich bewusst waren, dass da geholfen werden muss, dass man da zusammenhalten muss und dass man das sofort irgendwie lösen muss. Die Bilder am Bahnhof, ja – ich habe das schon einmal erwähnt – ich war in den 1990er Jahren einmal im Iran, wo die große Kurden-Krise war, und diese Bilder haben mich halt an diese Kurden-Flüchtlinge erinnert, wo das österreichische Bundesheer ein Feldspital aufgebaut hat im Iran, wo ich da seit erster Stunde dabei war, und die 14.000 kurdischen Flüchtlinge, die aus der Türkei, aus dem Irak, [von] überall vertrieben wurden, hier in einer ähnlichen Situation gewesen sind, mit Kindern, mit Kranke[n], mit nichts am Körper, und so gesehen waren das Bilder, die mich an diese Zeit erinnert haben und [ich] war natürlich, sagen wir so, gefasst auf diese Bilder.

HS: Mhm. Das heißt, du hast Erfahrungen gehabt mit solchen Flüchtenden im großen Stil, und das noch dazu im Ausland, also nicht in Österreich jedenfalls – war es für dich in irgendeiner Situation so, dass du gedacht hast „Na ja, hoffentlich kriegen wir das dann hin“ – oder war das von Anfang an klar, ich sage jetzt Stichwort Assistenzeinsatz, [das] wurde offensichtlich ja schon vorher ausgelöst, wie das jetzt geht? Wie war so deine persönliche Rolle in der ganzen Geschichte?

HH: Nein, ich habe das Gefühl eigentlich nie gehabt, dass das nicht ‚handlebar’ ist. Ich habe eigentlich immer ein gutes Gefühl gehabt, weil – wie Sie sagen – da ist ein ‚Salzburger Geist’ entstanden. Also ich habe das Gefühl gehabt, hier vor Ort gehört das gelöst. Wir wurden auch teilweise, auch in Gesprächen, die ich mit meinen Vorgesetzten gehabt habe, wurde also immer Nickelsdorf hergenommen, oder der Grenzübergang in Spielfeld – [da] sage ich „Die Situation hier ist eine andere, hier ist nicht Eintritt, hier ist Austritt, hier ist Verweildauer, im Land“, also da ist es gegangen um die Sani[täts]versorgung, oder Sani[täts]unterstützung, es wurde viel diskutiert um Verpflegung, wie soll die Verpflegung sein – also ich habe eigentlich ein sehr gutes Gefühl gehabt. Ich habe ein sehr gutes Gefühl gehabt – wobei, wie ich das erste Mal unten war im Bahnhof, in der Garage, [da] habe ich mir gedacht, also „Das kann nicht eine Lösung in Hinsicht Location sein“ – und Gott sei Dank ist nichts passiert, weil einfach das zu eng dann war, und weil auf Dauer das nicht haltbar gewesen wäre, aber für die erste Phase, oder für diese Phase war das das Optimale. Und dann die ASFINAG, die ASFINAG war dann noch besser, logischerweise.

HS: Weil mehr Platz war.

HH: Weil mehr Platz war, und weil man es besser ‚handeln’ konnte. Nein, das Gefühl habe ich nicht gehabt, wir waren da wie gesagt im Bereich Sicherheit und Unterstützung der Polizei tätig, haben da einen Behördenauftrag bekommen, von der Polizei, und innerhalb dieses Behördenauftrages haben wir autark agieren können. Diese Einsatzbesprechungen am Abend immer, mit dir und mit dem Hofrat, wie hat der geheißen, vom Magistrat...

HS: Also der Magistratsdirektor war dabei, der Martin Floss, und der Michael Haybäck.

HH: Der Haybäck, der Michael Haybäck, sehr kompetent, erinnere ich mich, der hat da ein klares Ziel gehabt – und durch diese Koordination, täglich, war das eigentlich gut aufgestellt, von Anfang an.

HS: Was mir aufgefallen ist, und was auch schon in einigen Interviews jetzt zur Sprache gekommen ist, dass die Bundesheerangehörigen, und es waren ja zum Teil Rekruten, was ich so mitbekommen habe, auch durchaus eine Sensibilität in dieser Situation entwickelt haben. Beispiel, mir ist in Erinnerung, dass einer, der war glaube ich aus Kärnten, [ein] Kamerad von dir, gesagt hat, „Die fürchten sich vor unseren Uniformen, sollten wir nicht etwas anderes anziehen?“, weil die das halt aus ihren Heimatländern gewohnt waren, eine Uniform ist eher, signalisiert Gefahr – respektive, ich kann mich gut erinnern, dass eben gerade die Rekruten sehr behutsam auch mit den Kindern umgegangen sind. Hast du da auch so, so Erinnerungen...?

HH: Ja, auf jeden Fall. Auf der einen Seite waren die Uniformen im Bereich sicherheitspolizeilicher Assistenzeinsatz, wo es um Ordnung und Sicherheit, und Regeln gegangen ist, [die] waren da sehr hilfreich, weil das eben so ist, dass das Militär in diesen Staaten einen anderen Ruf hat und anders agiert, und kein Teil der Gesellschaft ist, so wie es bei uns ist, dank der Wehrpflicht, sage ich einmal, oder auch dank der Wehrpflicht – und auf der anderen Seite die Rekruten, die also hier im Bereich der Verpflegungsausgabe tätig waren, oder Ordnung herstellen in der ASFINAG oder in der Garage, mit denen ich auch viel gesprochen habe – und ich habe keinen, kein Gespräch geführt, wo irgendwer gesagt hat „Nein, also das lehnen wir ab“, oder „Die sollen bleiben wo sie sind“. Wir haben auch den heerespsychologischen Dienst eingesetzt. Es ist nach jedem Turnus ist diese Gruppe, die aus dem Dienst herausgegangen ist, vom heerespsychologischen Dienst, unter Anführungszeichen ‚betreut, befragt’ worden. Die konnten ihre Erlebnisse erzählen, und die Rückmeldung von den Psychologen, die ich täglich bekommen habe, war also immer positiv. Die meiste Belastung – und das ist schon interessant, aber wenn man das dann nachliest, ich habe das dann einmal gemacht – war die Geruchsbelastung. Das war, also die Geruchsbelastung war eigentlich die größte Belastung, vor allem da in der Garage. Also das war interessant. Aber wenn man sich, wie gesagt, wenn man einschlägige Literatur da liest – da ist der Geruch wirklich ein wesentlicher Aspekt der den Menschen beeinflusst.

HS: Ja. Wenn man jemanden riechen kann... [beide lachen]

HH: Genau. Aber sonst waren alle positiv und haben gesehen, denen gehört geholfen, und das war eigentlich nie eine Diskussion, auch bei dem Kaderpersonal.

HS: Also, das war wirklich auffällig, und das ist auch anderen aufgefallen. Es wird sicher damit zu tun haben, wenn du sagst, dass in Österreich das Bundesheer ein Teil der Gesellschaft ist, und nicht irgendwie eine, eine ‚Quasi-Besatzungsmacht’ im eigenen Land.

HH: Genau.

HS: Aber trotzdem, es ist vielen aufgefallen, dass hier eine besondere, ja ein Fingerspitzengefühl einfach dabei war.

HH: Ja, das hat auch die Österreicher, sage ich, jahrzehntelang im Ausland so populär gemacht. Also wir sind ja Anfang der 1960er Jahre – das muss man sich einmal vorstellen, ist Österreich mit einem Kontingent in den Kongo, so Richtung eines Feldspitals, bereits losgezogen. Also das hat schon eine Tradition, oder dann die Einsätze am Golan oder Zypern, wo also hier große Ausgleichsmomente wichtig waren. Verhandlungsgeschick, beruhigen, ja, nicht gleich schießen, sage ich – und das hat die Österreicher, da hat es so den Slogan gegeben ‚Holt die Österreicher, die machen das’. Und ich war ja selber jahrelang im Ausland in so … ‚missions’, und also auch da hatten wir diesen Ruf, dass wir besonnen, ruhig, unaufgeregt die Dinge lösen.

HS: Ja, das ist sehr interessant, dass das irgendwie jetzt aus deiner Sicht, das bestätigt, was andere auch wahrgenommen haben. Hat es irgendwo einmal einen Punkt gegeben, wo du dir gedacht hat „Jetzt wird’s brenzlig“, oder „Jetzt könnte es brenzlig werden“? Ich reduziere das jetzt auf diese, ich sag einmal drei Monate von Anfang September 2015 bis Jahresende [und] dann noch ein paar Ausläufer 2016. Also wo aus deiner Sicht eine kritische Situation entstanden wäre?

HH: Es war dann in der ASFINAG, je länger Gruppierungen im Bereich geblieben sind, hat es natürlich vor allem interkulturelle Zwistigkeiten unter den Flüchtlingen gegeben, wo dann Sicherheitskräfte einschreiten mussten – aber dass man sagt ‚brenzlig’ im Sinne von einer Eskalation, [das] habe ich nicht wahrgenommen. Vielleicht wäre da der Polizei[...] der bessere Auskunftgeber... Aber ich kann mich da nicht erinnern. Es hat Reibereien gegeben unter den Flüchtlingen, vor allem welche, die also nicht übertreten konnten...

HS: Stichwort Marokkaner, dann in weiterer Folge oder so, die kein Asyl bekommen haben...

HH: Aber das war eigentlich zu erwarten, logischerweise.

HS: Haben diese Ereignisse eigentlich dein Weltbild noch verändert – du hast vorhin erzählt, du hast ja so Erfahrungen mit Auslandseinsätzen, warst das also in Anführungszeichen ‚gewohnt’ – aber hat es trotzdem, ich meine, die ganzen Bilder, die damals über die Medien kamen, dass also die Grenzbalken auf einmal auf die Seite geschoben wurden, ich glaube in Spielfeld war das – hat das irgendwie dein Weltbild, vielleicht auch beruflich, geändert? Als Militär, meine ich jetzt.

HH: Naja, mein Weltbild – mein Weltbild hat es, bezogen auf die globale Situation, nicht geändert, das muss ich sagen. Überrascht war ich über die Wucht dieses Drangs und dieser Ströme, und – über das ärgere ich mich heute noch – über die ‚Unvorbereitetheit‘ der Republik Österreich, das sage ich so. Ich habe das auch niedergeschrieben – die Republik ist zeitlich und örtlich in der Lage – zeitlich begrenzt und örtlich begrenzt in der Lage, Krisen zu bewältigen. Aber das war es dann schon. Also wir haben, Ende März glaube ich war das Ganze, ist das dann abgeebbt, 2016, und das war gut so, weil die Ressourcenlage nicht mehr gegeben war. Also wir sind da in Salzburg – wir haben zum Schluss schon die Kräfte aus Österreich zusammengezogen. [Ich] denke nur an die Kochsituation, an die, wir haben die Köche Dienst zugeteilt und hergeholt, weil dieses System niedergefahren wurde die letzten 20 Jahre, wir haben ja die Feldküchen verkauft, es ist ja der ewige Friede sozusagen ausgebrochen Anfang der 1990er Jahre, und in meinen Augen sind wir für längere, für die Bewältigung längerer Krisen nicht vorbereitet. Vom Bundesheer kann ich das sowieso sagen, weil ich unsere Ressourcenlage kenne, ich habe auch die Nöte der Polizei gesehen in personeller Hinsicht, durchaus, und bin äußerst irritiert, wenn ich mir die Situation des Bundesheeres jetzt anschaue hinsichtlich Ressourcenlage, Budgetierung – und wenn so eine Krise ein Jahr dauert, ist das Bundesheer selber Teil der Krise. Weil wir die Ressourcen nicht mehr haben.

HS: Das heißt dieser wirklich jahrzehntelange ‚Sparkurs’, in Anführungszeichen, hat das Bundesheer in seiner Funktion beschädigt.

HH: Ja, im Bereich, also, wir haben also viele gute militärische Teile, Einheiten, die sind aber zeitlich und örtlich begrenzt einsetzbar. Aber eine globale Krise, die nicht nur das Militärische, den militärischen Aspekt betrifft – also militärische Landesverteidigung ja, in einem gewissen Raum und eine gewisse Zeit, aber insgesamt sehe ich das nicht, und das Wehrgesetz schreibt ja, und die Verfassung schreibt ja auch andere Aufgaben vor, und da sind wir bald einmal am Ende der Fahnenstange. Und das ist das, was ich eigentlich zum Schluss dann gemerkt habe, wie einem selber die Luft ausgeht. Wie einem selber die Luft ausgeht, im wahrsten Sinne des Wortes, in personeller Hinsicht – die Einsatzkräfte waren dann zum Schluss 60 [Jahre alt], 60 plus, die so genannten ‚Eingreifkräfte’, wie man sie genannt hat, weil die Belastungskurve eigentlich dann schon so hoch war.

HS: Servus... Naja, jetzt hast du eigentlich schon relativ viel über die Rolle der Republik gesagt und auch über die Rolle der Behörden. Was bei diesem Einsatz ja auch so auffällig war – also nicht nur die Behörden haben sehr gut, und aus meiner Sicht zumindest relativ konfliktfrei zusammengearbeitet, es hat auch eine gute Zusammenarbeit mit den Freiwilligen gegeben, die vielleicht manchmal ein bisschen zu viel des Guten getan haben, aber im Großen und Ganzen war das irgendwie dann ein Gefüge.

HH: Naja, sie waren ja Teil der ganzen Einsatzorganisation, sage ich einmal. Nein, also vor Ort und im Raum könnte ich bei langem Nachdenken niemandem vorwerfen, dass irgendetwas disharmonisch abgelaufen wäre oder nicht funktioniert hat. Was hereingewirkt hat, war eher die Problematik, die Wiener Problematik, aber wie so oft, Innenministerium, Verteidigungsministerium, [ich] will da nicht näher darauf eingehen. Und das haben wir aber durch unsere Kommunikation – ich war ja oft drüben beim Landespolizeikommandanten und wir haben das oft diskutiert, und dadurch sind wir, da haben wir an einem Strang gezogen, und ich glaube, da hat auch Salzburg gut daran getan, alle da in Salzburg, dass man hier mit den Bayern auch entsprechend kooperiert hat, und dem Ruf „Schickt sie einfach hinüber“ nicht gefolgt sind, sondern mit denen da kooperiert hat, besprochen hat und das gut über die Bühne gebracht hat.

HS: Ja. Das war – da kann ich mich gut erinnern – das war eine der Diskussionen, die es wirklich gegeben hat, dass manche Leute geglaubt haben, wir können die Deutschen unter Druck setzen, wenn wir nur Leute an die Grenze schicken, sozusagen.

HH: Jaja, das war eine, [ich] sage einmal eine staatliche Überheblichkeit zu spüren, die aber vor Ort keinen Platz gehabt hat und die nichts verloren gehabt hat hier. Weil wir leben hier und wir haben das hier – und es gibt eine Zeit danach auch.

HS: Genau. Man trifft sich immer zweimal, wie es so schön heißt.

HH: Man trifft sich immer zweimal. Genau. So ist es.

HS: Also mir ist nur dieser eine ‚Marsch’, der plötzlich stattgefunden hat, an die Grenze, in Erinnerung, wo sich binnen von, was weiß ich, in einer Stunde, zwei Stunden die ganze Bahnhofsgarage geleert hat und alle Richtung Grenze marschiert sind. Und zum Schluss hat dann keiner recht gewusst, warum und wieso.

HH: Ja, da ist aber inner..., ich erinnere mich da auch, da hat es eine Aufregung gegeben, war das gesteuert oder nicht gesteuert – also ich kann nur sagen, das war nicht gesteuert, das ist aus ihnen heraus gekommen. Wer immer das da lanciert hat – man muss ja sagen, dass die Flüchtlinge ja auch bestens vernetzt sind. Also, das ist ja, es ist sicher teilweise eine Steuerung von außen da gewesen, aber vor Ort will ich das auch niemandem vorwerfen, dass das irgendwie lanciert worden ist. Es ist zwar der Verdacht aufgetaucht, aber meine Beobachtung war das nicht.

HS: Ja genau. Es ist spekuliert worden, es war ja auffällig, dass die Flüchtlinge – wie du sagst, die waren ja bestens informiert, auch über ihre Handys natürlich – mir ist in Erinnerung, die haben oft, wenn ein Zug in den Bahnhof gekommen ist, solange das in der Form stattgefunden hat, oft schon gewusst, wo sie umsteigen können, also wo der nächste Zug nach – solange sie gefahren sind – nach Deutschland geht, welcher Bahnsteig und so.

HH: Ja, das war teilweise schon sehr kurios.

HS: Also deren ‚Aufklärung’, in Anführungszeichen, hat ganz gut funktioniert.

HH: Daher ist das alles nicht zufällig passiert, in meinen Augen. Also ich habe da mit einem, [ich] war da auf Besuch in einem Konzern, im November 2015 war ich da auf Besuch, und da hat es also diese, ist diese Thematik natürlich besprochen worden, und ein Konzerndirektor, also in der höchsten Ebene, einer von mehreren, hat das völlig unaufgeregt gesehen. [Er] sagt da, wir können unsere Fließbänder nicht mehr bedienen, wir würden auch nichts mehr verkaufen, wir brauchen die Leute – also in meinen Augen hat sich da mein Bild oder meine Vermutung geschlossen. Dass das auch ein Druck der Wirtschaft war.

HS: Tatsächlich?

HH: Ja, das, also – ich habe keine Beweise. Aber ich glaube, dass der Druck der Wirtschaft auf die Politik so groß war, dass wir jetzt eine massive Zuwanderungswelle haben. Das glaube ich.

HS: Dass es, ich sage so, eine ‚stille Duldung’ der Politik gegeben hat, „Jetzt kommen endlich Leute, die wir brauchen“ – also Arbeitskräfte, unter Umständen.

HH: Ja. Und, wie gesagt, ich habe das zuerst schon erwähnt, und [die] Inkaufnahme eines Kollateralschadens, dass das dann – wie gesagt, noch einmal, ich wiederhole mich zwar jetzt, aber dass das dann in dieser massiven Form passiert ist, das glaube ich, das...

HS: Ja, das ist eine interessante These, weil auf die bin ich bis jetzt noch nicht gestoßen, dass es da durchaus vielleicht, wie du sagst – ich würde nicht sagen eine Komplizenschaft, aber eine stillschweigende Inkaufnahme einer Flüchtlingsbewegung massenhafter Art gegeben hat, um ‚aufzustocken’ sozusagen. ‚Human Ressources’, in Deutschland, Österreich...

HH: Ja, so ist es. Ein-Kind-Familie – ein Kind, wir brauchen ja nur die Zeitung lesen. Uns gehen die Rekruten aus, uns gehen die Zivildiener aus, uns gehen die Fachkräfte aus, das ganze Sozialsystem wird nur mehr mit Zugewanderten aufrecht erhalten, oder früher hat man ‚Gastarbeiter’ gesagt, aber man braucht nur ins Krankenhaus gehen und du triffst kaum mehr Österreicher, du gehst in ein Wirtshaus... Also das ganze gesellschaftliche System funktioniert eh jetzt schon nur mehr so. Und daher war das – man muss auch unterscheiden, wie viele waren Flüchtlinge, die aus dem Krieg, aus Kriegsgebieten, wegen Verfolgung geflohen sind, und wie viele waren die so genannten Wirtschaftsflüchtlinge, die geschaut haben, wo kann ich besser leben, wo habe ich Zukunft.

HS: Naja, ich meine, die ganze Besiedelung Nordamerikas hat zum Beispiel nur mit Wirtschaftsflüchtlingen eigentlich zu tun. Die Iren, die armen, die ausgewandert sind, die armen Deutschen, die verarmten Geschwister meines Vaters, die nach Amerika gegangen sind tatsächlich...

HH: Ja, Kanada war ja auch so. Und das wird nicht aufhören. In meinen Augen wird das auch nicht aufhören.

HS: Glaubst du, dass ähnliche Dinge, oder ein ähnlicher Ansturm in Zukunft auch passieren könnte? Weil jetzt ist ja dann im Nachhinein dann sehr viel darüber geredet worden, ‚Festung Europa’, und die Stacheldrahtzäune, und Orbán und Co., die da alle versuchen – und dann hat jetzt auch Bulgarien, habe ich vernommen, die Grenzen dicht gemacht, also mit Zäunen, etc.

HH: Ja, in dieser Form glaube ich es nicht. Aber es wird die – 70 Millionen Leute sind auf der Flucht, und das ist wie Wasser. Das ist wie Wasser, du kannst Zäune machen – man sieht die Bilder, Gibraltar, da wo in der Enklave, in der afrikanischen [spanischen, Anm.] Enklave, ich glaube der ist 15 Meter hoch, der Zaun, oder 10 Meter hoch, und da siehst du erschreckende Bilder. Also du siehst, wie – dass die Menschen – denen geht es so ‚beschissen’, dass sie alles riskieren, um in die große, gute weite Welt zu kommen. Und wahrscheinlich, oder ich habe das jetzt meinen Kindern auch gesagt, ich habe gesagt „Wenn ich wahrscheinlich, ich sage jetzt [im] Kongo, oder in Zentralafrika oder in Syrien wäre, 25 Jahre alt, oder 30, wahrscheinlich würde ich meine sieben Sachen packen und einmal schauen, wo finde ich ein besseres Leben“. Und daher, die Zurückgewandtheit hat überhaupt keinen Sinn, sondern ich glaube, man muss, die Herausforderungen muss man annehmen und schauen wie man diese Sache geordnet löst. Zäune bauen ist das Eine, aber wie gesagt, das ist keine Lösung, schlechthin, [das] ist eine Rückgewandtheit.

HS: Ja. Also ‚geordnet löst’ heißt auch vor Ort...

HH: Ja. Man muss – es werden ja viele Maßnahmen werden ja richtigerweise in meinen Augen diskutiert, eben humanitäre Hilfe vor Ort, Entwicklungshilfe – nur muss man halt dann ein Geld in die Hand nehmen, logischerweise.

HS: Und daran krankt es, natürlich, das passiert eben nicht.

HH: Naja, weil bei uns, das Geld verpufft. Es verpufft in vielen Bereichen. Ich sage immer, wir haben wunderbare Schallschutzwände, wir haben wunderbare Parkplätze, aber wir fahren über Rumpelstraßen. Also, [ich] wollte damit sagen, das Wesentliche wird nicht bedient. Das Geld ist irgendwo anders, aber dort, wo es gebraucht wird, verpufft es. Und das ist auch die zentralistische Aufstellung im Raum, der Föderalismus wird in meinen Augen viel zu wenig gefördert. In meinen Augen würde der Föderalismus mehr ‚PS‘ auf den Boden bringen als Zentralismus, aber, das glaube ich, das haben wir noch aus der Monarchie, dass das so ist, und momentan ist ja wieder Zentralismus pur angesagt und alles [geht] nach Wien. Ich würde es schon begrüßen, wenn wenigstens Bundesdienststellen in den Bundesländern installiert werden wie in Deutschland, aber der Zentralismus ist schon sehr ausgeprägt bei uns, und wenn ich mir vorstelle, dass 25% des Personals des Bundesheeres in Wien arbeitet – aber ohne Truppe, die einzige Truppe ist da die Garde – und diese 25% brauchen 50% des Personalbudgets. Also dann weiß man ungefähr, wie die Sachlage, wie sich die Sachlage darstellt, und das, glaube ich, ist nicht nur im Bundesministerium für Landesverteidigung so, sondern das könnte man wahrscheinlich, oder müsste man untersuchen, wie diese Lage in den anderen Ministerien ist. Und daher verpufft das Geld, es kommt nicht nach unten, und daher haben wir immer zu wenig Geld. Daher ist die Beschaffung eines Rasenmähers oder die Anstellung eines Kochs ein Kreuzritterauftrag, sage ich jetzt einmal. Ich bin da sehr kritisch, ich weiß es, aber...

HS: Ja, nein, das freut mich jetzt insofern, als dass natürlich – die Intention dieser ganzen Arbeit ist es ja nicht, ein schönes Licht auf das Ganze zu werfen, sondern zu sagen, wie es war, respektive wie es ist.

HH: Jaja, natürlich.

HS: Die Aufgabe des Historikers, die ich jetzt wahrnehme, ist ja nicht, eine schöne Rede zu halten. Und insofern bin ich sehr dankbar, dass du da deinen Beitrag leistest.

HH: Das ist mir auch bewusst, und ich glaube – ich habe das ja öffentlich schon gesagt, geschrieben, es ist ja nicht so, dass ich das zum ersten Mal – da war ja das große Interview in den ‚Salzburger Nachrichten’, das war halt ein kurzer Aufschrei, wie das in der Zeitung zu lesen war, und dann sind die Raben kurz aufgeflattert, und die sitzen schon lange wieder und schlafen.

HS: Gut, Herr Kommandant, sage ich jetzt ganz offiziell, ich danke dir – nämlich auch für deine offenen Worte.

 

Transkript erstellt von Katharina Steinhauser