Manfred Lindenthaler
Interview mit Oberst Manfred Lindenthaler, BA
im Rahmen des Buchprojekts „Die große Flucht“
Kommandant der Stadtpolizei Salzburg
Datum: 02. Mai 2019
Ort: Stadtarchiv Salzburg
Dauer: 00h 32min 42sec (1 Track)
Interviewer: Dr. Heinz Schaden
HS = Heinz Schaden (Interviewer)
ML = Manfred Lindenthaler
TRANSKRIPT DES INTERVIEWS
[Ergänzungen in eckigen Klammern wurden bei der Transkription vorgenommen und dienen dem besseren Verständnis.]
HS: Ja, Manfred – fang einfach an, erzähl, wie es war, deine Eindrücke.
ML: Meine Eindrücke. Gut, ich möchte ganz am Anfang beginnen, und zwar, ich war damals mit meiner Familie in Großarl [auf] Urlaub, und am letzten Abend habe ich einen Anruf bekommen von der Landesrätin Martina Berthold, ob ich etwas weiß, was in Salzburg los ist, denn wir haben angeblich Flüchtlinge am Salzburger Hauptbahnhof. Da schaust du einmal – Flüchtlinge am Salzburger Bahnhof? [Ich] habe dann angefangen zum Telefonieren und zum Umherrufen, habe dann meinen Stellvertreter erwischt, den Andi Huber, und der sagt dann „Ja, wir haben Flüchtlinge am Salzburger Hauptbahnhof.“ „Ja, wo kommen die her, was ist da los?“ Und dann ist eben das Ganze insofern ins Gehen gekommen, [als] dass man festgestellt hat, es kommt vermutlich eine Riesen-Flüchtlingswelle auf uns, auf Salzburg zu. Man hat dann diese ersten Flüchtlinge in der Bahnhofshalle in Salzburg untergebracht, bis man am nächsten Tag Gelegenheit hat[te], sie, die alle Richtung Deutschland weiter wollten, Richtung Deutschland weiter zu transportieren. Und ich bin dann den ersten Tag wieder im Dienst, und war, ja – überfordert, glaube ich, am Anfang, mit der Situation, dass plötzlich wieder ein Zug nach dem anderen in den Salzburger Hauptbahnhof einfährt, 600, 700, 800 Leuten in den Zügen – und, ja, du hast die Leute plötzlich da stehen. Was tun wir mit den Leuten? Am Anfang waren wir eine Handvoll Polizisten, die das Ganze irgendwie bewältigt haben, bis auch die Landespolizeidirektion dann irgendwie sich konstituiert hat, und man wahrnehmen konnte, dass das etwas Größeres, etwas Großes wird. Und, ja, die ersten Emotionen die man dann teilweise gesehen hat, auch bei den Flüchtlingen, wie sie da aus den Zügen ausgestiegen sind, auch bei der Handvoll Polizisten, die am Anfang da gewesen sind, auch überfordert mit der Situation – da kommen Frauen, Kinder, junge Männer, und die haben nur ein Ziel: weiter Richtung Deutschland. Und in den folgenden Tagen, Wochen, Monaten hat sich dann ein gewisser Ablauf sozusagen institutionalisiert. Die Stadt Salzburg hat angefangen, einen Krisenstab sozusagen hochzufahren, Rettung, Feuerwehr – also alle Organisationen, die irgendwie in einem, ja, man kann fast sagen Krisenfall, da involviert sind, die Hand in Hand miteinander arbeiten, haben plötzlich angefangen, die Tragweite dieser Migrationswelle, dieser sich abzeichnenden Migrationswelle zu erfassen. Und es hat dann angefangen für mich, für das Bundesland Salzburg, [eine] unglaubliche Zusammenarbeit mit den Behörden. Wir haben das Glück, dass wir uns schon seit vielen Jahren gekannt haben und seit vielen Jahren kennen, dass wir auch die maßgeblichen Verantwortlichen der Stadt Salzburg seit vielen Jahren sehr gut kennen, in vielen Situationen, bei vielen Veranstaltungen, bei vielen Großereignissen zusammengearbeitet haben und gewusst haben, wir können uns aufeinander verlassen. Das war für mich auch, glaube ich, die halbe Miete zum Erfolg sozusagen. Ich habe gewusst, wenn du sagst, das ist so, ist das so. Umgekehrt glaube ich, hast du auch gewusst, wenn ich sage, das passt für mich, oder wir machen das so, dann hast du gewusst, dass das passt. Magistratsdirektor, Amt für öffentliche Ordnung, Feuerwehr – egal, was gewesen ist, man ist aufeinander eingespielt gewesen, und das Ganze hat dann angefangen, zu einem System zu werden, und wir haben diese Massen, die tagtäglich daher gekommen sind – man darf nicht vergessen, in den ersten Wochen haben wir gehabt, ich glaube das Meiste waren 12.000 Flüchtlinge in der Woche – das waren also schon gewaltige Menschenmengen, die man da sozusagen bewegt hat. Die Züge sind eingefahren, der andere Zug hat schon gewartet, die Deutschen haben dann angefangen, ihre Spielchen sozusagen zu spielen, haben uns warten lassen, haben die Züge an der Grenze nicht abgefertigt, haben sie dann wieder abgefertigt und so weiter – und wir mussten uns dann immer wieder neu finden, neu einstellen darauf, es ist dann so gewesen, dass wir dann immer länger und immer länger warten mussten, bis wir die bei uns auflaufenden Fremden weiter transportieren konnten. Das hat sich eben dann ergeben, dass wir die Tiefgarage leer gemacht haben, die Menschen dort notdürftig untergebracht haben, es ist dann die ASFINAG ins Spiel gekommen, wir haben dann direkt an der Grenze begonnen, eine zweite, ich sage jetzt einmal eine zweite – [denkt nach] – nicht Kontrolllinie, eine...
HS: Ja, es war eine Durchgangsstation.
ML: ... eine Durchgangsstation eigentlich aufzubauen...
HS: Aber mit Organisation dahinter…
ML: Mit einer kompletten Organisation dahinter. Dasselbe dann, wie sich das in der ASFINAG dann schön langsam eingependelt hat, wie Rotes Kreuz, wie alle die dort dann angefangen haben, ihre Aufgaben wahrzunehmen. Und das war für mich schon immer wieder auch beeindruckend – manches hat funktioniert mit blindem Vertrauen, wirklich mit blindem Vertrauen, mit einem kurzen Anruf, und manches war einfach extrem schwerfällig und extrem umständlich. Es war für mich immer wieder auch toll, wenn du als Bürgermeister gekommen bist und an den Besprechungen teilgenommen hast, du hast nie den Eindruck vermittelt, dass du nicht weißt, was du machst, du hast immer die Ruhe ausgestrahlt, du hast die Kompetenz ausgestrahlt, man hat das Gefühl gehabt, du hast das Zepter fest in der Hand – das hat sich glaube ich auch auf die anderen alle ausgewirkt, dass man gemerkt hat, ja, der Bürgermeister der Landeshauptstadt, wo sich alles abgespielt hat, der ist da, wenn es notwendig war – wenn du nicht da gewesen bist, dann war der Martin Floss, der Magistratsdirektor, da, oder der Michael Haybäck als Leiter des Amtes für öffentliche Ordnung – und man hat wirklich das Gefühl gehabt, jeder weiß, was zu tun ist, und alle ziehen gemeinsam am gleichen Strick. Das war extrem gut. Es hat dann so absolute Ideen gegeben, wo man die Flüchtlinge noch überall hinfahren könnte – das hat man dann eh gleich einmal gesagt, dass das eigentlich sinnlos ist, und dass das nicht der Sinn und der Zweck des Ganzen ist. Für mich [ist] auch immer wieder interessant, dass die Migrationswelle sich eigentlich nur auf die Stadt konzentriert hat, und je weiter man hinausgekommen ist, umso weniger haben die Leute davon Notiz genommen. Und umso weniger haben die Leute eigentlich gewusst, was sich da herinnen abspielt. Auch innerhalb der Kollegen. Nur die Kollegen, die halt da waren und die uns unterstützt haben, die haben gewusst, was sich tatsächlich da abspielt – die, die nicht da waren, die haben gar nicht gewusst, was da für Menschenmengen auflaufen, was da für Menschenmengen hin und her verschoben werden – und was das teilweise auch wirklich für ein psychischer Stress war für die Einsatzkräfte. Du erinnerst dich selber, wie die Leute in der Tiefgarage waren, und wir haben dort in Spitzenzeiten rund 2.000, 2.200 bis 2.500 Leute gehabt –
HS: Das waren manchmal 3000.
ML: Die offiziellen Zahlen, sage ich jetzt einmal.
HS: Offiziell – inoffiziell waren es mehr, und dann haben wir geschaut, dass wir sie irgendwie abbauen.
ML: Wir haben da – wir sind da oft an der Grenze des Machbaren gewesen, natürlich dann auch mit den Kindern, mit den Frauen; der Stress, der dann auch für die Einsatzkräfte entstanden ist, wenn es geheißen hat, es kommt wieder ein Zug oder ein Bus, und alle wollten gleichzeitig die Tiefgarage verlassen. Ich habe da ein paar Mal Situationen gehabt, wo ich gesagt habe, ich will nicht, dass wir ein totes Kind haben, ich will nicht haben, dass einer zusammengetrampelt wird – wir müssen da ein System hineinbringen und wir müssen da schauen, dass wir die Leute in geordneten Bahnen zu den Zügen bringen, zu den Bussen bringen. Und ich kann mich erinnern, irgendein Fotograf hat da ein Foto gemacht von mir, wo ich glaube ich so an der Rolltreppe stehe [breitet beide Arme aus] und so die Hände vor den Kindern, die da gewesen sind, ausbreite – und das war, das ist mir gar nicht so bewusst gewesen. Aber der Artikel dazu zu dem Foto, und was da alles so dabei gestanden ist, das hat mir dann richtig bewusst gemacht, was da eigentlich die Einsatzkräfte – egal ob Polizei, ob Bundesheer, Rotes Kreuz, alle die halt da involviert waren, was die eigentlich alles aushalten müssen in diesen Wochen und Monaten. Man darf nicht vergessen, ich glaube bis knapp vor Weihnachten ist die ganze Flüchtlingswelle gegangen, von Ende August bis fast vor Weihnachten. Ich bin selber fast jeden Tag, wirklich fast 24 Stunden draußen gewesen und war mit dabei. Ja, im Nachhinein – abenteuerlich, und trotzdem eine Zeit, die ich keinesfalls missen möchte, einfach weil man sieht, wozu wir als Organisationen – Stadt, Polizei, Feuerwehr, Land – wozu man in der Lage ist im Ernstfall, was man alles in der Lage ist zu machen.
HS: Ich habe das nämlich auch als, nach wie vor als schönes Beispiel dafür in Erinnerung, dass es ohne Eifersüchteleien, ohne Kompetenzstreitereien, und ohne dass wir das vorher proben konnten – wir haben zwar einen Notfallplan in der Stadt, aber auf so etwas war kein Mensch vorbereitet – und es hat funktioniert. Und jeder hat mitgemacht. Und die so genannte Zivilgesellschaft, also die freiwilligen Helfer, die waren da. Und wenn wer gestritten hat, dann ist das irgendwo ganz hinten passiert, habe ich zumindest den Eindruck gehabt, aber sehr geräuschlos, oder relativ geräuschlos.
ML: Relativ geräuschlos. Ich muss auch sagen – wie gesagt, für mich ist das ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, dass die Verantwortlichen ein Vertrauen zueinander haben, dass man sich aufeinander verlassen kann, dass man nicht nur, sage ich jetzt, in ‚Friedenszeiten’ [zeigt mit den Fingern die Anführungszeichen] eine gute Miene macht, sondern dass man vor allem dann, wenn es wirklich darauf ankommt, da sehe ich dann, auf wen kann ich mich verlassen und auf wen kann ich mich nicht verlassen. Und das ist für mich einfach so wichtig gewesen. Ich habe immer gewusst, und ich habe das – jeder, der mich da darauf angesprochen hat, ich habe zu jedem gesagt „Ich kann mich auf den Heinz Schaden verlassen. Wenn der Heinz sagt, ‚Manfred, das ist so’, dann war das so. Und umgekehrt, ich habe versucht, ihm auch das Gefühl zu vermitteln, ‚Ja, wenn ich sage, ich stehe dazu, dann stehe ich dazu’.“ Und das sind einfach Dinge, die kann man nicht üben. Das sind Dinge, die kann man nicht lernen, sondern das ist einfach – entweder man macht das, oder man macht das nicht. Und entweder ich tue das, weil ich das gern mache, und weil ich mir bewusst sein muss, wenn etwas ist, dann muss ich einfach dazu stehen. Und da brauche ich nicht darüber zu diskutieren, ob jetzt der Bürgermeister das gesagt hat, oder nicht, sondern wenn der Bürgermeister und ich das vorher ausgemacht haben, dann müssen meine Leute das akzeptieren. Punkt. Und in so einer Situation, wo plötzlich 500, 700, 800 Flüchtlinge da stehen, wo ein Zug nach dem anderen hereinkommt, da kann ich nicht mehr hergehen und mich darum kümmern, ob das meinem Beamten passt oder nicht, oder ob auch unter Umständen mein Chef das so akzeptiert oder nicht – da muss ich vor Ort hergehen und muss handeln. Und ich muss versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Und ich glaube, das haben wir alle miteinander – mehr oder weniger – relativ gut hingekriegt. Wir haben auch im Nachhinein, glaube ich, von den Medien, von allen öffentlichen Stellen eigentlich durchwegs positive Resonanzen bekommen, dass wir das in dieser Zeit – und es war ja wirklich eine sehr anstrengende Zeit – dass wir das, ja ich glaube echt erstklassig abgearbeitet haben.
HS: Da ist vielleicht für dich von Interesse, zu wissen, zwei Dinge: Zum einen, CNN, also der große amerikanische Kabelfernsehsender, [der] internationale, hat ja eine Reportage gemacht. Der „Anchorman“, wie es dort heißt, ist extra gekommen, war in Lesbos, war in Salzburg und dann noch in Deutschland. Und Salzburg wurde ausgewählt, weil CNN wusste, dass es hier gut funktioniert. Und dass hier eine andere Stimmung auch ist, eine konstruktive. Und der Vatikan hat dann ein Jahr später eingeladen, also ein Jahr nach dieser Flüchtlingswelle eingeladen, die Bürgermeister, die am stärksten betroffen waren. Da war ich halt auch dabei, und das war auch so eine Anerkennung – in dem Fall war halt ich der Adressat, aber ‚pars pro toto’, für alle, dass das bei uns gut funktioniert hat. Also das ist wirklich wahrgenommen worden, international nämlich. Ohne dass wir da eine Werbetrommel gerührt haben, weil wir haben ja kein Aufhebens gemacht, wir waren ja froh, wenn möglichst wenig medial berichtet wurde, in Wirklichkeit.
ML: Wirklich, es war ja teilweise dann auch dieser, wo dieser Marsch, dieser unangekündigte Marsch dann stattgefunden hat, also Richtung Grenze, wo man dann wirklich bass erstaunt gewesen ist, dass das jetzt wirklich stattfindet – man hat auch das, aus dem Nichts heraus, eigentlich relativ gut hingekriegt noch. Das hätte ganz anders ausgehen können. Es war ja doch, ein paar Mal war die Stimmung ja doch auch sehr, sehr emotionsgeladen, was für mich nachvollziehbar ist, wenn Menschen auf sehr engem Raum doch über mehrere Tage, mehrere Nächte zusammengepfercht sind, [sich] doch nicht recht auskennen, nicht wissen, was passiert mit ihnen, die Zukunft ungewiss ist – die haben ein Ziel, sie wollen nach Deutschland, weil vielleicht schon Onkel, Tante, Bruder, was immer, dort sind – dass das dann Emotionen hervorruft, dass das einfach auch nagt und so weiter, das war vorhersehbar. Und trotzdem hat man immer wieder versucht, Ruhe hineinzubringen, hat immer wieder versucht, dass man hergeht und die Situation nicht eskalieren lässt. Und das [ist] auch nie passiert, wir haben nie irgendwelche gröbere Geschichten gehabt. Ich weiß nicht, wie viele Zigtausend Menschen wir in diesen Monaten …
HS: 350.000. In dieser Zeit zwischen Anfang September und kurz vor Weihnachten. Und dann hat es noch Ausläufer gegeben, im nächsten Jahr, also im Folgejahr.
ML: Das muss man sich einmal vorstellen, das sind, ich sage einmal …
HS: Die Stadt hat 150.000 Einwohner.
ML: Mehr als das Doppelte, als die Stadt Salzburg Einwohner hat, in diesen Wochen, Monaten von A nach B zu transferieren, oder manchmal auch von A nach B und dann weiter nach C. Die Spielchen, die die deutschen Behörden mit uns gemacht haben, die haben Gott sei Dank bei uns, innerhalb der einzelnen Organisationen, nicht stattgefunden. Jetzt brauchten wir uns nur darauf konzentrieren, dass wir hergehen und dass wir regelmäßig schauen, dass wir den Druck in die Richtung ein bisschen erhöhen, dass also doch die Abfertigungen gemacht werden. Im Nachhinein betrachtet – ja, unglaublich gut gelungen, glaube ich. Ohne jetzt ein Selbstlob auszusprechen, aber man hat wirklich gesehen, eine gute Organisation und eine klare Linie, von allen Beteiligten eine klare Linie, ist einfach unumgänglich. Und wenn jetzt mich persönlich jemand fragt, ich glaube auch, dass es gut gewesen ist, dass es danach dann für die Einsatzkräfte, die eingesetzt waren, so eine Art Anerkennung gegeben hat, indem man sie zum Essen eingeladen hat – zumindest teilweise und Vertreter – doch auch ein bisschen als Danke, und dass das nicht eine Selbstverständlichkeit ist.
HS: Stimmt, ja.
ML: Ja, das war einfach …
HS: Zwar nur ein kleine Anerkennung, aber …
ML: Es ist eine Anerkennung. Ich glaube, da geht es gar nicht einmal so sehr darum, dass man hergeht und dass man jetzt da weiß Gott …
HS: Medaillen verteilt, oder …
ML: Nein, überhaupt nicht, sondern es geht darum, dass man sagt „Hey, das habt ihr gut gemacht, ihr habt alle gut mitgearbeitet da“ – und es wäre ohne die alle nicht gegangen. Da muss man ganz ehrlich sein. Wenn nicht die Stadt etwas beigesteuert hätte, wenn nicht das Land etwas beigesteuert hätte, wenn nicht jede einzelne Organisation etwas beigesteuert hätte – jetzt nicht nur in personeller Hinsicht. Die Stadt musste ja auch Geld in die Hand nehmen, oder [auch] das Land hat eine Menge Geld in die Hand genommen – dann wäre das nicht gegangen. Wenn man da hergegangen wäre und alles auf die Goldwaage gelegt hätte – „Nein, das muss die Stadt machen“, oder „Das muss das Land machen“, die Diskussionen haben wir ja teilweise auch gehabt, wo wir dann gesagt haben, „Nein, das machen wir uns selber, dann ist das erledigt und dann passt das auch“ – ohne dem wäre das Ganze nicht gegangen. Und für mich, einfach, wie gesagt, noch einmal, ich möchte noch einmal zu dem zurückkommen, für mich [war] ganz einfach wichtig, dass ich heute zu meinem Gegenüber – sprich jetzt zu dir damals als Bürgermeister – dass man ein Vertrauen hat und dass man sich persönlich sehr gut kennt und weiß, wie reagiert der dann auch in so einer Situation. Das war für mich einfach das Wichtigste von allem.
HS: Mhm. Spannend.
ML: Ja, wie gesagt, für mich war wichtig – ich weiß, wenn ich etwas habe, wenn ich etwas brauche, ich gehe her und ich gehe zu dir. Du bist der Bürgermeister der Landeshauptstadt, du bist derjenige, der die Kompetenz hat, der auch das Sagen hat, und wenn du sagst, ja das passt – und ich kann mich an ein Mal erinnern, da hast du dann gesagt „Nein, so wird es gemacht“ – da haben zwar alle geschaut, aber es hat dir keiner widersprochen, und es ist dann auch so gemacht worden. Und genau das war das Wichtige, und genau das war das Richtige. Du als Bürgermeister hast gesagt „Ja, es wird so gemacht.“ Ich weiß nicht mehr, um was es da gegangen ist, da haben wir, in diesem Besprechungsraum ist diskutiert worden und die anderen wollten dies, die anderen wollten das, die anderen wollten es so haben – bis dir dann der Kragen geplatzt ist, auf Deutsch gesagt, und du gesagt hast „Und so wird es gemacht.“ Du hast mich dann einmal auf die Seite geholt, hast gesagt „Was meinst du?“, und du hast dann gesagt „Und so wird es gemacht.“ Das war einige Male so, wo einfach allein deine Anwesenheit, oder allein dein – wo der Martin anwesend war, der Martin Floss, wo das allein schon genügt hat, um zu zeigen, ja, die Stadt Salzburg, die hat das Ruder in der Hand, die geben das auch nicht aus der Hand, das Ruder, die wissen was sie wollen, die wissen was sie tun, und so rennt’s.
HS: Darf ich dir noch eine andere Frage stellen?
ML: Bitte.
HS: Wie hast du das erlebt – ich sage einmal die Zeit davor und die Zeit danach – ich spreche das jetzt ohne irgendwelche Parteien zu erwähnen an, hat sich die Stimmung im Land durch diese große Flüchtlingswelle verändert? Jetzt sage ich ganz bewusst, ein paar Leute haben Angst bekommen damals natürlich, auch in meinem Bekanntenkreis, in meinem unmittelbaren Bekanntenkreis, einfach weil sie nicht gewusst haben, wohin führt das Ganze – wie gesagt, noch einmal, ich meine jetzt keine Parteien oder so was, sondern was ist so deine Wahrnehmung?
ML: Also, was mich verwundert hat, es hat, also bevor bei uns ja diese Migrationswelle eingesetzt hat, hat man das ja schon in Italien immer wieder gespürt, oder in Griechenland und so. Und Italien hat ja immer wieder gesagt „Wir können das allein nicht stemmen.“ Du hast irgendwie das Gefühl gehabt, naja, Italien, das ist so weit weg, Griechenland, das ist alles so weit weg. Wenn das irgendwo da unten passiert ist – wir haben zwar die Fernsehbilder gesehen, aber jeder hat sich gedacht, naja, was geht uns sozusagen Italien an. Und dann, ich sage jetzt am linken Fuß, wie eine kalte Dusche, hat es uns auch dann erwischt. Man kann, glaube ich, über den Österreicher denken, wie man will. Aber wenn es dann um solche Dinge geht, dann – zumindest auf lokaler Ebene – entwickelt sich sehr schnell ein Professionalismus. Da wird nicht lange geredet, da wird dann angefangen zu handeln. Und das hat mich beeindruckt, dass man da relativ schnell umgeschaltet hat von dieser... ‚Sumsermentalität’ sage ich jetzt einmal, hin zum Professionellen. Jeder hat gewusst, was zu tun ist. Und das relativ schnell. Es stimmt, die Stimmung in der Bevölkerung, ich glaube vor allem in der Stadt Salzburg, wo man das ja sehr hautnah mitbekommen hat, war sehr durchwachsen. Ja, auch in meinem Bekanntenkreis. Viele haben gesagt „Wo führt das hin, was tut ihr mit den Leuten, was wollen die alle bei uns da?“ Also die Verunsicherung ist schon sehr groß gewesen. Auch lange Zeit nachher war die Verunsicherung noch groß, wo man immer wieder mitbekommen hat, dass die Deutschen uns dann wieder Leute zurückschicken, wo wir dann angefangen haben, am Bahnhof entsprechende Kontrollen zu machen, weil also doch ein Teil der Leute da – auf Deutsch gesagt ‚hängen geblieben’ sind, die nicht mitgegangen sind mit der großen Welle Richtung Deutschland, und weil die Deutschen uns auch wieder Leute zurückgeschickt haben. Und wir dem insofern Rechnung tragen mussten, [als] dass wir also dieses subjektive Sicherheitsgefühl, dass man das wieder auf ein Niveau bringt, wo man sagt „Ja, man kann wieder einigermaßen sicher am Tag und auch in der Nacht in der Stadt unterwegs sein.“ Es hat ja dann, glaube ich, 2015 auf 2016 da in Köln diese Vorfälle gegeben mit diesen sexuellen Übergriffen, die zum Teil dann auch hier in Österreich passiert sind, speziell in Innsbruck auch, in Salzburg vereinzelt – was dann natürlich noch einmal ein... [denkt nach] ... ich sage jetzt einen Riesen-Schock in der Bevölkerung ausgelöst hat, eine große Verunsicherung, vor allem „Kann das bei uns auch passieren? Passiert das bei uns?“ Damals glaube ich war es sehr wichtig, dass wir hergegangen sind und unsere Anstrengungen, unsere Kontrolltätigkeiten, speziell am Bahnhof, verstärkt haben, dass man einfach entsprechende polizeiliche Präsenz gezeigt hat und der Bevölkerung wieder das Gefühl gegeben hat „Ah, die Polizei ist da, und die schaut einfach nach dem Rechten.“ Wobei, wie gesagt, das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung eine Sache ist, und die persönlichen Meinungen der Menschen wieder ganz eine andere [Sache] sind. Weil, der berühmte Satz „Wir schaffen das“ hat doch sehr viele, ja, glaube ich, Fragen aufgeworfen, oder doch mehr Fragen als Antworten. Wir haben ja oft mit dem Begleitpersonal der Züge geredet, die von Salzburg Richtung Deutschland gegangen sind, was mit diesen Leuten passiert, wohin die gefahren werden. Und wie man dann gehört hat, die werden alle nur in die großen Städte gefahren mit den Zügen, nirgendwo aufs Land, in die ländlichen Bereiche, weil man Angst gehabt hat, dass dort die Bevölkerung einfach hergeht und ‚die Krise kriegt’, auf Deutsch gesagt. Wenn man gewusst hat, dass am Anfang allein in Berlin ich weiß nicht wie viele Zigtausende Menschen nur in Parks gelebt haben, weil es keine Unterkünfte gegeben hat, oder gegen Schluss hin, wo man dann gehört hat, die ganzen Leute werden jetzt nur mehr nach München gefahren und man hat[te] in München 50.000 Leute, mit denen man nicht weiß, wohin – klar, dass das in den betroffenen Städten dann einfach für eine Riesen-Verunsicherung sorgt. Und die mediale Berichterstattung hat natürlich auch etwas dazu beigetragen. Ich glaube, dass die Medien am Anfang die Dimensionen unterschätzt haben, was da auf uns zukommt, und je länger das angedauert hat, desto neutraler und desto flacher wurde die Berichterstattung. Von meinem Gefühl her. Und auch mit der Zunahme dieser eher flacheren Berichterstattung, dieser eher objektiveren Berichterstattung, hat man dann auch wieder eine Ruhe hinein gekriegt in die Bevölkerung. Wie gesagt, den [das] ‚Gros’, das hat ja nur die Bevölkerung in der Stadt mitbekommen – je weiter man aufs Land hinausgekommen ist, desto weniger war das eigentlich für die Leute greifbar.
In Hallein, in Oberndorf, in Abtenau war das am Anfang „Na ja, ok, da kommen halt ein paar Flüchtlinge.“ Das ist für die Menschen erst dann greifbar geworden, wie man Quartiere gesucht hat, wie man Quartiere schaffen musste. Dann ist das, dann sind die Diskussionen erst richtig aufgebrochen.
HS: Ja das stimmt. [Es] war auch interessant, dass da, nämlich wie es um die Quartierfrage gegangen ist, am ehesten spürbar war, dass sich zum Beispiel die Medien in einer negativen Art und Weise einschalten. Ich kann mich erinnern, das [Hotel] Kobenzl, da hat mich die Innenministerin damals selber angerufen und hat gesagt „Ist das für dich ok, wenn wir das Kobenzl als Erstaufnahmezentrum nutzen?“ Ich habe gesagt „Ja, steht leer – ist zwar ein bisschen entlegen, aber warum nicht.“ Und dann ist auf einmal zumindest ein Medium so richtig negativ ‚drauf gehüpft’. Da war es zum Beispiel auch wichtig, dass wir einfach nicht nachgegeben haben und gesagt haben „Das ist jetzt so. Aus. Das machen wir jetzt.“
ML: Ja, was hätten …
HS: Wir haben es dann im Endeffekt nicht gebraucht, oder kaum gebraucht, aber das wussten wir ja nicht, am Anfang.
ML: Es hätte uns genauso gut passieren können, dass das ein halbes Jahr, ein Jahr weitergeht mit der Migrationswelle. Man hat eh dann versucht, auch seitens der Bundesregierung, dass man hergeht und alle möglichen Mittel ausschöpft, um die Migrationswelle einfach einzudämmen und einzudämpfen, weil man einfach gemerkt hat, dass das schön langsam aber sicher, wenn das jetzt über mehrere Wochen oder Monate geht, dass das einfach für alle an die Grenzen, dass man einfach an die Substanz geht.
HS: Darf ich dich noch etwas fragen, ohne dass du da jetzt irgendwelche Dienstverschwiegenheiten antasten musst – hat sich das in der Polizei, bei deinen Kollegen, irgendwie eingeprägt als positives, als negatives Erlebnis, oder [als] gute Zeit, schlechte Zeit, hat das vielleicht auch zusammengeschweißt in gewisser Weise?
ML: Ja, ich traue mich nicht zu sagen, ob jetzt der Einzelne positiv oder negativ – ich glaube, insgesamt für die Organisation war das eine sehr wichtige Erfahrung, weil man gesehen hat, wie schnell so ein Ereignis einen einholen kann. Und wie wichtig es dann ist, dass auch die Polizei als Organisation gut strukturiert ist, dass man in den verantwortlichen Positionen gute Leute hat, Leute hat, die nicht hergehen und anfangen zu diskutieren, warum und weswegen, sondern Leute hat, die handeln. Diskutieren kann man später. Es ist so. In der Situation muss man einfach hergehen und handeln. Es soll nicht so sein, dass man jetzt hergeht und sagt, man tut etwas Rechtswidriges, das hat man ja auch nicht gemacht, aber dass man hergeht und dass man seine Kräfte bündelt – ich denke jetzt, es hat ja, wie gesagt, zu 99% die Stadt betroffen. Wir als Führungskräfte im Stadtpolizeikommando, wir haben uns sofort solidarisiert, wir haben uns sofort organisiert, wir haben für uns einen Ablauf entwickelt, dass immer einer der Führungskräfte da ist und die Mannschaft anführt. Das, glaube ich, ist unglaublich wichtig. Wir haben gezeigt, wir lassen euch nicht alleine draußen, sondern es ist – es bin ich fast jeden Tag draußen gewesen, wirklich fast jeden Tag, es ist mein Stellvertreter fast jeden Tag draußen gewesen auch, und die übrigen Offiziere, so dass man immer sagen konnte „Ja, schaut, wenn unsere Chefs, oder wenn unser Chef draußen ist, dann können wir das auch.“ Ich habe immer gesagt, ich frage nichts von meinen Mitarbeitern, was ich nicht selber bereit bin zu tun. Und wenn ich es mache, dann kann ich es von meinen Mitarbeitern auch verlangen. Wir haben auch dann, wo es dann schon ein bisschen, ich sage jetzt einmal seichter geworden ist, die Situation, wir haben uns dann auch mit der Polizeiinspektion am Bahnhof ganz gut zusammengeschlossen, wir haben dann – ja, man hat einfach ein gutes Prozedere entwickelt, wie man hergeht und wie man das dann abwickelt. Aber, wie gesagt, wichtig, glaube ich, auch für die Polizei, war, zu erkennen, so etwas kann uns jederzeit wieder passieren, das kann von heute auf morgen kommen. Ich sage jetzt nur – das passt jetzt thematisch vielleicht nicht ganz dazu, aber wenn wir uns anschauen jetzt in Frankreich, die Unruhen die innenpolitisch sind mit diesen Gelbwesten, auch Demos, gerade jetzt wieder am 1. Mai - so etwas wäre bei uns jederzeit denkbar. Und da, glaube ich, ist einfach wichtig, dass wir als Polizei gut aufgestellt sind, und da kann man halt nicht auf Befindlichkeiten jedes Einzelnen, oder einer Einzelnen Rücksicht nehmen – sondern es muss funktionieren, das muss laufen. Und dafür, bin ich halt der Meinung, muss ich in meinem Bereich schauen, der Landespolizeidirektor muss für den gesamten Bereich schauen, und ich glaube schon, dass wir da als Organisation einiges mitnehmen konnten.
HS: Mhm. Gut, Manfred, eigentlich hast du alles gesagt, was zu sagen ist – ich danke dir.
ML: Bitte, gern.
HS: Weil das ist, du hast das jetzt so lebendig dargestellt, dass ich gar nicht jetzt auf Unterfragen eingehen will.
ML: Ich habe versucht, das so darzustellen, wie es war.
Transkript erstellt von Katharina Steinhauser