Die jüdische Gemeinde Salzburgs in den 1990er Jahren

Eingeständnis einer Mitschuld

Österreichs an NS-Verbrechen, die seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre intensiv geführt wurden, zeigten in den 1990er Jahren erste Früchte. Am 8. Juli 1991 betonte der damalige Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) in einer Rede vor dem Nationalrat, dass viele Österreicher das NS-Regime unterstützt und mitgetragen und sich daher mitschuldig gemacht hatten. Seither sind das Bekenntnis zur Mitverantwortung und eine Distanzierung vor Antisemitismus feste Bestandteile offizieller Gedenkveranstaltungen. Zur selben Zeit fanden EU-Beitrittsverhandlungen statt, die 1995 zur Aufnahme Österreichs in die EU führten.

Die damalige SPÖ-ÖVP-Koalition begann eine intensive Zusammenarbeit mit der IKG Österreich, was sich etwa in der Eröffnung des Jüdischen Museum Hohenems 1991 oder einer ersten Erweiterung des Jüdischen Museums Wien 1993 manifestierte. Im Jahr 2000 wurde außerdem ein Mahnmal am Wiener Judenplatz errichtet, das – anders als das allen Opfern gedenkende Mahnmal gegen Krieg und Faschismus von Alfred Hrdlicka – speziell den österreichisch-jüdischen NS-Opfern gewidmet ist. Daran zeigt sich auch, dass sich das Gedenken an jüdische Opfer stärker in den öffentlichen Raum verlagerte. Eine Entwicklung, die auch in anderen europäischen Ländern zu beobachten war.

Einladung 1938/39 Vertriebener

1993 luden Stadt und Land Salzburg Juden und Jüdinnen ein, die 1938/39 aus Salzburg vertrieben wurden. Es handelte sich um die erste offizielle Einladung an die Vertriebenen, die Stadt ihrer Kindheit und Jugend zu besuchen – 48 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Zur Reimmigration eingeladen wurden sie nie.

Für viele der vertriebenen Juden und Jüdinnen bedeutete diese Einladung, zum ersten Mal seit der Flucht nach Salzburg zurückzukehren. Einige waren unsicher und hatten Bedenken, als sie die Einladung erreichte. Die brutale Vertreibung hatte ihre Spuren hinterlassen und die Angst war groß, in Salzburg wieder zu stark an die traumatischen Erlebnisse erinnert zu werden. Trotzdem willigten selbst 80- und 90-Jährige ein, und folgten der Einladung in ihre Geburtsstadt. Oft wurden die Vertriebenen von ihren Kindern begleitet.

Publikation „Ein ewiges Dennoch. 125 Jahre Juden in Salzburg“

Die Vertriebenen wurden am 5. August feierlich empfangen. Marko Feingold, der 1991 mit dem Hofratstitel ausgezeichnet wurde, präsentierte das von ihm herausgegebene Buch „Ein ewiges Dennoch. 125 Jahre Juden in Salzburg“, in dem die Geschichte jüdischen Lebens in Salzburg von der Wiederansiedelung 1876 über die NS-Verfolgung bis hin zur Gegenwart umfassend beleuchtet wird. Ein Sonderteil ist Adolf Altmann gewidmet, der nicht nur beliebter und geschätzter Rabbiner der IKG Salzburg war, sondern auf den die erste Chronik über das Salzburger Judentum zurückgeht. 1990, und damit drei Jahre vor der Buchpräsentation, wurde sein Werk „Geschichte der Juden in Stadt und Land Salzburg“ in Salzburg neu aufgelegt.

Anlässlich ihres Besuchs und in Zusammenhang mit dem 100-jährigen Jubiläum des jüdischen Friedhofs ließ die Stadt Salzburg auf dem Friedhofsgelände ein Denkmal errichten, das an die Zerstörung der jüdischen Infrastruktur während der NS-Zeit erinnert. Auf ihm befinden sich die Namen und Lebensdaten jener jüdischen SalzburgerInnen, deren Grabsteine zerstört wurden.

Einige ehemalige jüdische SalzburgerInnen waren überrascht, dass die IKG Salzburg, die vor 1938 sehr liberal ausgerichtet war, nun Männer und Frauen in der Synagoge durch einen Vorhang getrennt waren und die Gemeinde von einem ultraorthodoxen Rabbiner betreut wurde.

Publikation „Geduldet, Geschmäht und Vertrieben. Salzburger Juden erzählen“

Die Salzburger HistorikerInnen Helga Embacher und Albert Lichtblau nahmen den Besuch der Vertriebenen zum Anlass, insgesamt 16 Lebensgeschichten aufzuzeichnen und nach Salzburg „zurückzuholen“ und sie somit in die Geschichte Salzburgs zu integrieren. In diesem Zusammenhang entstand das Werk „Geduldet, Geschmäht und Vertrieben. Salzburger Juden erzählen“, das gemeinsam mit Daniela Ellmauer 1998 veröffentlicht wurde.

Literaturempfehlung:
  • Eveline Brugger / Martha Keil / Albert Lichtblau / Christoph Lind / Barbara Staudinger, Geschichte der Juden in Österreich, Wien 2006.
  • Daniela Ellmauer / Helga Embacher / Albert Lichtblau (Hg.) Geduldet, Geschmäht und Vertrieben. Salzburger Juden erzählen, Salzburg / Wien 1998.
  • Helga Embacher, Exil als neue Heimat, in: Marko M. Feingold (Hg.), Ein ewiges Dennoch. 125 Jahre Juden in Salzburg, Wien / Köln / Weimar 1993, 435-460.
  • Marko M. Feingold (Hg.), Ein ewiges Dennoch. 125 Jahre Juden in Salzburg, Wien / Köln / Weimar 1993.